Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
kalt, abweisend ... Und es hat in seinem
Leben eine Frau gegeben, von der er mir partout nichts sagen will. Doch das
Schlimme ist: Je beharrlicher er schweigt, desto mehr erwacht meine Phantasie!
Ach, Vera, dann wieder sage ich mir, es ist doch unbedeutend. Es geht doch
schließlich um eine große Lebensaufgabe, die wir gemeinsam erfüllen. Trotzdem
leide ich, und ich schäme mich zugleich für meine Selbstsucht. Ist es denn
nicht wundervoll und ein großes Geschenk, an der Seite eines solchen Mannes
leben zu dürfen?
Die allerliebsten
Grüße! Ich hoffe, Dir geht es gut.
Deine Dich
vermissende Emma
Emma faltete den Brief und steckte ihn ins Kuvert. Wie sehr
fehlte ihr die Freundin! Ihr fiel ein, dass sie John nicht erwähnt hatte. Seit
seiner Rückkehr von dem Berg verhielt war er abweisend. Einerseits tat es ihr
weh, andererseits war sie dankbar und erleichtert. Sie war schließlich mit Paul
verheiratet.
Der Wind blähte den Vorhang am Fenster und brachte den scharfen
Geruch von Eukalyptus mit. Nach drei Wochen saß sie endlich wieder an einem
richtigen Tisch, in einem richtigen Zimmer, dem Gästezimmer im Hause der Shaws.
Das Ehepaar hatte sich durch Briefe an die Südaustralische Lutherische Kirche
für die Weiterführung der Missionsstation engagiert. Hätte Mrs. Shaw anstatt
eines langen schwarzen Rocks Hosen getragen und statt der hochgeschlossenen
Bluse ein Hemd, hätte man sie durchaus für einen Mann halten können. Mit ihrem
kurzen gewellten Haar, dem markanten Gesicht mit dem spitzen Kinn und den
schmalen Lippen wirkte sie sehr streng und unnachgiebig. Ihre tief liegenden
Augen blickten durchdringend. Sie gehörte zu den Menschen, fand Emma, die sich
von ihrem Gegenüber schnell eine Meinung bildeten und darauf beharrten. Gleich
bei der Begrüßung hatte Mrs. Shaw Emma mit diesem Blick gemustert, und Emma
wurde das Gefühl nicht los, dass sie Mrs. Shaws Vorstellung, wie die künftige
Frau auf der Missionsstation sein sollte, nicht entsprach. Paul hingegen hatten
ihre dunklen Augen zum Leuchten gebracht. Ehrfurchtsvoll hatte sie zu ihm
aufgesehen.
Es gab wohl kaum ein Paar, das äußerlich weniger zusammenpasste
als Mr. und Mrs. Shaw. Mr. Shaw schien alle weiblichen Merkmale, die bei seiner
Frau nicht vorhanden waren, übernommen zu haben. Er war ein wenig rundlich,
hatte ein teigiges Gesicht und lichtes Haar. Seine Augen waren wässrig, und
seine Stimme klang weich. Einen Satz begann er meist mit „vielleicht“ oder
„womöglich“. Doch eines musste man den Shaws lassen: Beide waren gastfreundlich
und bemühten sich, ihnen behilflich zu sein.
Sie hatten Paul überredet, noch einen weiteren Tag in Stuart zu
verbringen, obwohl er eigentlich sofort nach Neumünster aufbrechen wollte. Eine
ganze Reihe von Dingen könne man besser von hier aus organisieren, meinte Mrs.
Shaw, und so stellte sie mit Paul zusammen eine Liste, die heute – wie
auch Emmas Brief – der Kamelkarawane mitgegeben werden würde.
Emma hatte gestern ein
merkwürdiges Gespräch mit Mrs. Shaw geführt, von dem sie in ihrem Brief an Vera
nichts erwähnt hatte. Als sie Mrs. Shaw am Nachmittag nach ihrer Ankunft in die
Küche folgte, um Martha, das Dienstmädchen, das die Shaws mit nach Neumünster
schicken würden, kennen zu lernen, hatte Emma sich nicht zurückhalten können
und gefragt: „Sie kannten doch sicher Margarete Weiß?“ Daraufhin war Mrs. Shaw
stehen geblieben, und als sie sich dann langsam zu Emma umgedreht hatte, war
ihr Blick aus dem scharf geschnittenen Gesicht mit den tiefen Mundfalten
abweisend gewesen. „Wissen Sie“, hatte sie zwischen schmalen Lippen
hervorgepresst, „nicht jede ist für diese Aufgabe geeignet.“ „Wollen Sie damit
behaupten, Margarete Weiß war ungeeignet ...“ „Ich will gar nichts behaupten, Mrs. Schott“, fiel sie Emma in belehrendem
Ton ins Wort. „Sie hat sich hier jedenfalls nicht blicken lassen. Warum auch
immer. Und alles, was ich weiß, ist Gerede!“ Damit wollte sie das Thema wohl
abschließen, denn schon wandte sie sich Martha zu, die in ihrem knöchellangen
weißen Kleid, über das sie eine gestärkte weiße Schürze gebunden hatte, scheu
darauf wartete, dass sie vorgestellt wurde. Doch Emma wollte sich nicht so
schnell abfertigen lassen. „Was für Gerede?“, fragte sie deshalb. Mrs. Shaw
fuhr herum, starrte sie einen Augenblick an und schüttelte schließlich den
Kopf, als sei es zwecklos, etwas zu
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