Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
betrachtete die Spuren. „Zwei schwere Wagen, einer von Kamelen
gezogen, der andere von Rindern. Die Pferde sind angebunden.“ Er ging ein paar
Meter weiter und bückte sich wieder. „Einer geht neben den Kamelen her. Ein
Kameltreiber.“ Robert Gordon wusste nicht, was daran so besonders sein sollte.
Auf dieser Strecke zogen viele Tiere und auch Kamelkarawanen entlang. „Die
Missionare.“ Moses kam zum Wagen zurück, seine Miene hatte sich verdüstert.
Robert horchte auf. „Wie kannst du das erkennen?“
Diese Frage hatte Robert
schon oft gestellt. Immer wieder, wenn sie auf Spuren trafen, kam es vor, dass
Moses genau sagen konnte, wie viele Personen, wie viele Weiße, wie viele
Aborigines, wie viele Männer und Frauen und Kinder und Tiere dort vorbeigegangen
waren, wie alt die Kinder waren, wie schwer die Lasten. Ja, hin und wieder
nannte er sogar die Namen des Menschen, dessen Fußspur er erkannte.
Nachdenklich schob Moses sich wieder hinter das Steuer, löste die Bremse und
fuhr weiter. „Bob?“ „Ja?“ Auf Moses’ hoher, glatter Stirn hatten sich Falten
gebildet. Sein sonst so heiterer Ausdruck war verschwunden. Doch er sprach
nicht weiter, sondern sah wieder nach vorn, lenkte und wich Steinen, Rinnen und
Büschen aus. „Was ist, Moses, schieß los!“ Aber Moses schüttelte den Kopf und
sagte nichts mehr. Robert hatte sich daran gewöhnt. Moses fing manchmal eine
Frage an und sprach dann nicht weiter, als sei ihm plötzlich klar geworden,
dass Robert den Sinn sowieso nicht verstehen könnte. Aber auch ohne Erklärung
wusste Robert, dass Moses sich vor einer Begegnung mit Leuten seines Stammes
fürchtete. „He, machst du dir Sorgen?“ Moses tat, als habe er nichts gehört,
sah weiter geradeaus und lenkte den Wagen zwischen den Steinen und Büschen
hindurch.
Am späten Nachmittag
erreichten sie Heavitree Gap, wo sich das trockene Bett des Todd River durch
eine Schlucht in den MacDonnell Ranges wand. Am Sonntag fuhren die Menschen aus
Stuart gern zum Picknick dorthin. Robert hatte vor ein paar Jahren Fotos
gemacht: Damen in weißen Kleidern mit Sonnenhüten und Sonnenschirmen, und
Kinder in Sonntagsanzügen. Er hatte eine kurze Affäre mit einer Farmerstochter
gehabt ... Ach, schon nach wenigen Tagen langweilten ihn die Frauen. Sie
erwarteten zu viel von ihm. Er fühlte sich dann wie eingesperrt. Und außerdem
wollten sie alle, dass er sesshaft wurde. Sollte er etwa eine Farm kaufen? Das
wäre das Letzte, was er tun würde.
„Sie werden mich suchen“, sagte Moses auf einmal. Er starrte
todernst geradeaus und wäre beinahe auf einen Felsbrocken aufgefahren, wenn
Robert nicht noch rechtzeitig ins Steuer gegriffen und es herumgerissen hätte.
„He! Was ist los?“, schrie er Moses an. „An was denkst du, zum Teufel! Du
hättest um ein Haar das Auto zu Schrott gefahren!“ Moses trat auf die Bremse.
Sein Blick war abwesend. „Ich kann nicht mehr fahren.“ „Wie, du kannst nicht
mehr fahren?“ Robert verstand nicht. Moses zuckte die Schultern und starrte
immer noch ins Leere. „Ich kann es nicht mehr. Ich habe alles verlernt. Wir
müssen die Plätze tauschen.“ Er stieg aus und ging um den Wagen herum. Robert
seufzte und rutschte hinter das Steuer.
Als Moses sich auf den
Beifahrersitz gesetzt hatte, musterte Robert ihn. Doch Moses sah ihn nicht an,
und auch auf eine Erklärung wartete Robert vergeblich. Robert legte den Gang
ein und fuhr weiter. Nur noch wenige Kilometer waren es bis Stuart. Moses würde
sich schon wieder beruhigen. Aber Roberts Unruhe wuchs.
2
Liebe Vera,
Ich habe keine
Erklärung dafür, dass ich Dir auf meiner langen Reise so selten geschrieben
habe. Vielleicht waren es die vielen neuen Eindrücke, die mich gar nicht zum
Nachdenken, geschweige denn zum Berichten haben kommen lassen. Ich hoffe, Du
bist mir deshalb nicht böse. Vergessen habe ich Dich in all der Zeit nicht, das
musst Du mir glauben. Vor wenigen Monaten haben wir uns noch zugewinkt, es
kommt mir vor, als ob ich ein zweites Leben begonnen hätte. Ich weiß gar nicht,
wo ich anfangen soll zu erzählen. Mittendrin vielleicht? Gestern sind wir nach
unserem langen Marsch durch die Wüste – mein Gott, Vera, ich habe ein
paar Tage lange geglaubt, ich müsste sterben, aber genug - in Stuart angekommen, der Stadt, die
mitten in diesem riesigen leeren Kontinent liegt.
Tiefrot haben die
hohen Felsen bei unserer Ankunft geleuchtet, darüber ein dunkelblauer
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