Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Mutter, und ihre gute Stimmung trübte sich. Aber hätte sie für
ihre Mutter ihr eigenes Leben aufgeben müssen? Hätte das ihre Mutter denn
glücklicher gemacht? Vorsichtig, um Paul nicht zu wecken, kroch sie unter der
leichten, weiß bezogenen Decke heraus. Lautlos raffte sie ein paar
Kleidungsstücke zusammen, schlüpfte in ihren einfachen Morgenmantel und schlich
hinaus zu den Waschräumen. Sie hoffte, sie würde Max Jacobs den ganzen Tag
nicht begegnen.
Als sie angezogen und
erfrischt ins Freie ging, leuchtete die Sonne schon in kräftigem Orange über
dem in der Ferne schwach zu erkennenden Festland. Um diese Uhrzeit waren die
meisten Passagiere noch in ihren Kabinen. Doch heute spielten ein paar Kinder,
alle in blauweißen Matrosenanzügen, Fangen. Sie hatte die Kinder schon ein
paarmal mit ihren Eltern gesehen, einem strengen Ehepaar, mit dem sich Paul
gleich am ersten Tag unterhalten hatte. Paul hatte ihr erzählt, dass der
Familienvater Ingenieur war. Man hatte ihm in Westaustralien eine Stelle bei
einer Minengesellschaft angeboten. Emma sah zu den spielenden Kindern hinüber.
Auf der Mission gab es sicher auch Kinder.
„Gibraltar! Gleich fahren wir zwischen den Säulen des Herkules
hindurch, meine Verehrte!“ Ottmar Friedrich trug ein Tablett mit zwei Teetassen
übers Deck. „Passen Sie auf, Frau Pastor“, er drückte einem vorübereilenden
Kellner rasch das Tablett in die Hand, „da drüben liegt schon Afrika!“ Er
zeigte auf die rechte Seite des Schiffs. Ihr Blick folgte seinem Arm, der in
einem golden gemusterten Morgenmantel steckte. Im noch morgendlichen Dunst
konnte sie ganz weit in der Ferne einen dunklen Schatten erkennen. „Sie
verstehen sich doch hoffentlich noch mit Ihrem Mann.“ Schlagartig hatte er
seinen Ton geändert. „Ich hatte den Eindruck, der Abend lief ein bisschen aus
dem Ruder. Ich hoffe nicht, dass ich daran Schuld hatte – oder unser
gemeinsames Tänzchen!“ „Aber nein.“ Sie schüttelte den Kopf und lächelte. Er
seufzte, hob ein wenig die Arme und ließ sie dann fallen. „Wenn Sie meine
Tochter wären, hätte ich Ihren Plänen nicht zugestimmt!“ Emma sah ihn erstaunt
an. „Und warum nicht?“ „Verehrte Frau Schott, Sie hätten ein leichteres Leben
verdient.“ Bevor sie fragen konnte, was er damit meinte, zog er aus der
Brusttasche seines Morgenmantels, auf die eine Krone gestickt war, eine
blütenweiße Visitenkarte. „Unter dieser Adresse bin ich in Adelaide erreichbar.
Die Adresse des Arztes steht auf der Rückseite. Zögern Sie nicht, sich zu melden.“
Emma nahm sie, wenn auch ein wenig unsicher. „Und jetzt kommen wir gleich am
Affenfelsen vorbei!“, sagte er wieder in seiner fröhlichen Art. „Wo ist Ihr
Mann? Gehen Sie, und holen Sie ihn! Das ist ein einmaliger Anblick!“ Er zeigte
zu der schroffen Felswand, der sie sich näherten. „Da überschritt der maurische
Feldherr Tarik schon im achten Jahrhundert die Meerenge und errichtete eine
Burg! Was für ein strategisch wertvoller Platz! Kein Wunder, dass die Engländer
den nicht mehr hergeben! Einen schönen Tag, Gnädigste!“ Er verbeugte sich
leicht und hastete davon, ein kleiner, dicker Mann in einem pompösen
Morgenmantel, seidenen Pyjamahosen und blauen Pantoffeln. Mochte er auch ein
wenig exzentrisch sein, er war ihr doch sympathisch. Er hatte etwas Väterliches,
und als sie noch einmal auf die Visitenkarte sah, fühlte sie sich sogar
gerührt.
„Gehören Sie auch zu den
Frühaufstehern?“ Die Frau in Schwarz kam auf sie zu. „Ich habe immer gerne lang
geschlafen, aber mein Bein hat leider was dagegen.“ Emma sah, wie sich die Frau
auf den schwarzen Schirm stützte. „Was ist mit Ihrem Bein geschehen?“ Die Frau
lächelte müde. „Ein Autounfall.“ „Das tut mir Leid.“ „Pure Ausgelassenheit! So
etwas bestraft der Herr sofort! Oh“, verbesserte sie sich sofort, „verzeihen Sie,
Sie sind ja die Frau eines Pastors.“
„Wie ist es passiert?“, fragte sie. „Wollen Sie das wirklich wissen?“
Ihr Blick glitt irgendwohin in die Ferne. „Mein Mann hat ein Auto gekauft. Er
wollte es ausprobieren. Wir nahmen also unseren Picknickkorb und fuhren los.
Wir hatten ein wunderbares Picknick und eine Flasche Champagner! Auf dem
Rückweg lachten wir zu viel. Vor allem hörten wir in der Kurve nicht auf zu
lachen. Wir stürzten einen Abhang hinunter und überschlugen uns. Tja, das war
mein zweiter Mann.“ Ihr Blick war zu Emma
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