Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
sie konnte sein
Rasierwasser riechen. Ein leicht scharfer, frischer Geruch, von dem sie nicht
zu sagen wusste, ob sie ihn angenehm oder unangenehm fand. „Hören Sie auf zu
grübeln!“, sagte er. „Es hat keinen Sinn. Sie können die Dinge dadurch nicht
ändern. Schlagen Sie sich lieber auf die Seite der Menschen, die handeln.
Glauben Sie mir, ich spreche aus Erfahrung!“ „Ich weiß nicht.“ Sie fühlte sich
plötzlich einsam. Die Stimmung, die sie so sehr genossen hatte, war dahin. Er
streifte ihre Schulter. „Genießen Sie den Moment! Nur im Augenblick liegt das
Glück. Warum vergessen Sie nicht einfach einmal alles ...“ „Was?“, fragte sie
und merkte, dass sie verzweifelt klang. „Was? Sind Sie frisch verheiratet?“ Sie
nickte, beinahe dankbar, dass er ohne Erklärung alles verstand. Er ließ seinen
Blick über ihr Gesicht gleiten und sagte dann: „Sind Sie sicher, dass Sie mit
ihm leben wollen?“ Diesmal lachte er nicht. Sie sah in seine Augen, deren Farbe
sie in der Dunkelheit nicht bestimmen konnte. Er hatte eine feine, gerade Nase,
ein nicht zu eckiges Kinn und volle Lippen. Es war ein harmonisches Gesicht,
nur die unglaublich hellen Haare irritierten sie. Ihr Gehirn schob seine Worte
wie Möbelstücke von einer Ecke in die andere. Bin ich wirklich sicher? Warum
zögerte sie? Warum antwortete sie nicht gleich: „Aber natürlich bin ich
sicher!“, empörte sie sich über die Frage dieses fremden Mannes? „Vergessen Sie
nicht: Sie haben nur ein Leben.“
Seine Stimme hatte jede Ironie verloren.
Etwas Seltsames geschah
mit ihr. Es musste am Wein und an der Musik liegen oder daran, dass sie getanzt
hatte, an der lauen Luft, vielleicht auch an den glitzernden Sternen. Sie
fühlte, wie sie von einer tiefen Sehnsucht erfasst wurde. Sie wollte berührt
und geküsst werden, wollte endlich nicht mehr allein sein! Sie war verwirrt.
Eigentlich hätte sie sich jetzt verabschieden, ihm eine gute Nacht wünschen und
zu Paul hinunter in die Kajüte gehen müssen. Warum tat sie es nicht? Warum
drehte sie sich zu diesem Fremden, sah ihm in die Augen, bis sie seine Lippen
auf ihren spürte? Sie schloss die Augen, ließ sich von ihm in die Arme nehmen,
drängte sich an ihn. Noch nie hatte sie so geküsst. Noch nie war sie so geküsst
worden. Doch als der Boden unter ihren Füßen nachzugeben schien, riss sie sich
los. Er sah sie verwundert an. „Nein!“ Sie schüttelte heftig den Kopf. Der Wind
blies plötzlich stärker, zerrte an ihrem Haar; das Geschrei der Möwen war
schriller geworden, das Meer brauste, und die Musik klang schräg und falsch.
„Ich habe eine Einzelkabine“, sagte er leise. Sein Gesicht war noch immer ganz
nah, und plötzlich hatte sie Angst vor seinen Augen, vor seinem Mund und vor
seinem leuchtenden Haar. Nein – sie hatte Angst vor sich selbst. „Es ...
Es tut mir Leid“, sagte sie hastig und eilte, ohne sich noch einmal umzudrehen,
über das Deck zur Treppe. Was war nur in sie gefahren, einen fremden Mann zu
küssen? Paul durfte das niemals, niemals erfahren. Vor ihrer Kabinentür blieb
sie stehen und holte Atem. Sie gehörte zu Paul. Niemals sollte sich jemand
zwischen sie drängen. Sie streckte den Arm aus und öffnete so leise sie konnte
die Tür, zog sich im Dunkeln aus, wusch sich fast lautlos, aber sehr gründlich
das Gesicht und legte sich zu Paul in das schmale Bett. Er brummte nur. Sie
küsste ihn. „Was ist mit dir?“, fragte er schläfrig. Sachte legte sie ihren
Finger auf seinen Mund. „Es tut mir Leid wegen heute Abend“, flüsterte sie
zärtlich. In dieser Nacht war ihr das, was sie taten, nicht mehr peinlich.
7
Im Morgenlicht
betrachtete sie sein schlafendes Gesicht. Wie entspannt er aussah. Die breite
Stirn war ohne Falten, die rötlich schimmernden Augenbrauen waren schmal und
sanft geschwungen, die hellen Wimpern sahen aus wie gekämmt, seine Lippen waren
ein wenig geöffnet, und er atmete ganz still und gleichmäßig. Wie viele
Sommersprossen bedeckten wohl sein Gesicht? Ich sollte sie zählen, dachte sie
und musste lächeln. Das Rauschen und Zischen des Wassers und das dumpfe
Stampfen der Turbinen waren inzwischen vertraute Geräusche und erinnerten sie
daran, dass sie auf dem Weg in ein neues Leben war. Durch das Bullauge fiel
graues Licht. Auf dem Wecker, der auf dem kleinen Nachttisch stand, war es kurz
nach sechs. Um diese Zeit hatte ihr Frühdienst im Krankenhaus begonnen. Sie
dachte an ihre
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