Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
des Oberdecks und auch von der Brücke her fiel
goldenes Licht. Sie hörte das Krächzen der Möwen, die ihre Fahrt begleiteten.
Wäre Paul jetzt bei ihr, hätte dieser Streit sie nicht getrennt, sie wäre in
diesem Moment glücklich gewesen. Sie ging nach vorn und sah zu, wie der
glänzende Bug der Britannia durchs
Wasser pflügte und weiße Gischt aufschäumte. Sie hatte sich schon an das
unablässige Vibrieren der Planken unter ihren Füßen gewöhnt, es beruhigte sie
inzwischen sogar. Es bewies ihr, dass sie in Bewegung waren, dass es vorwärts
ging, dass sie nicht stillstanden.
Die Nacht war klar, und
das Licht des Halbmondes reflektierte silbrig auf dem nachtdunklen Meer. Dort,
wo die portugiesische Küste sein musste, glaubte sie winzige Lichter leuchten
zu sehen. Bald würden sie Europa weit hinter sich gelassen haben. Ob sie jemals
wieder zurückkäme?
Aus dem Saal drang immer
noch Tanzmusik. Jetzt machte sich der Wein bemerkbar. Etwas Weiches, Warmes
breitete sich in ihrem Innern aus. Es fühlte sich angenehm an. Sie durfte
keinen Wein mehr trinken. Paul wollte es nicht. Und sie? Was wollte sie? Sie
sah hinauf in den Sternenhimmel und summte die Musik aus dem Speisesaal mit.
Doch schon hörte sie Schritte und sah jemanden auf sich zukommen. Ein Mann
stellte sich wenige Schritte von ihr entfernt an die Reling und blickte aufs
Meer. Emma hörte auf zu summen, lauschte aber weiter der Musik. „Tja“, sagte
der Mann auf einmal, „ist es nicht verrückt, der kürzeste Weg zu sich selbst
führt um die Welt!“ Er lachte. „Oh, verzeihen Sie, ich habe mich gar nicht
vorgestellt: Max Jacobs.“ Er war ein wenig größer als sie, wirkte drahtig und
trug einen perfekt sitzenden dunklen Anzug. Sein helles Haar schimmerte fast
weiß im Mondlicht. Sie erinnerte sich nicht, ihn schon einmal gesehen zu haben.
Aber bei über achthundert Passagieren war das kein Wunder. Vielleicht reiste er
erster Klasse und seine Kabine lag ein Deck höher als ihre. „Emma Schott“,
antwortete sie höflich, aber knapp. „Sehr erfreut. Frau oder Fräulein Schott?“
Er hatte ein glattes Gesicht und ein spitzbübisches Lächeln, das Emma
normalerweise nicht mochte, aber jetzt, jetzt lenkte es sie von ihren
schwermütigen Gedanken ab. „Frau.“
„Schade.“ Er lachte gut
gelaunt. Sie lachte nun auch und merkte, dass es ihr gut tat. Ihre Hände
klammerten sich fester an das Geländer. Der Wind wehte ihr ins Gesicht und
zupfte Strähnen aus ihrem festen Knoten. Die Musik wechselte, die Kapelle
spielte einen neuen Charleston. „Haben Sie schon Delfine gesehen?“, fragte er.
„Gestern haben uns welche eine ganze Weile lang begleitet. Sie scheinen sich
über schwimmende Ungetüme wie unser Schiff zu freuen. Vielleicht machen sie
sich ja auch über uns lustig, wer weiß das schon?“ „Sie meinen, Delfine können
lachen?“ Was redete sie da? Es musste am Wein liegen. Sie war doch sonst nicht
so. „Oh, das könnte ich mir durchaus vorstellen. Auch Delfine brauchen ihren Spaß!“,
erwiderte er. Sie lachte. Wie gut das tut, dachte sie. Eine Weile schauten sie
angestrengt aufs Meer. Doch es zeigte sich nichts, was selbst bei allergrößter
Phantasie an einen Delfin erinnerte. „Wie vertreiben Sie sich die Zeit hier auf
See? Man kann ja nicht den ganzen Tag essen und aufs Meer schauen“, fragte er.
„Ich lese.“ Sie wagte einen kurzen Blick zu ihm. Er hielt sich wie sie an der
Reling fest und ließ sich den Wind ins Gesicht blasen. Sein glattes mondweißes
Haar, das sicher blond war, denn er wirkte noch sehr jung, wehte ihm dabei ins
Gesicht. „Und Sie?“ Oh.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich
versuche, kluge Dinge zu schreiben. Was mir aber immer schwerer fällt, je
länger ich an Bord bin. Die Gedanken werden träger.“ Er zeigte aufs Meer. „Da,
sehen Sie?“ Tatsächlich konnte sie im Gegenlicht des Mondes auf dem silbrig
glänzenden Meer eine Wasserfontäne erkennen. „Ob das ein U-Boot ist?“, fragte
sie. Er lachte. „Sollte etwa ein neuer Krieg ausgebrochen sein, ohne dass man
uns davon unterrichtet hat? Vielleicht ist es aber auch nur ein Wal.“ Sie ließ
sich für Augenblicke von seiner Unbeschwertheit anstecken. Sie wollte den Abend
mit den Friedrichs vergessen, und auch ihre Fragerei und Pauls Verstimmung
wollte sie weit hinter sich lassen. Doch immer wieder wurde sie von der
Erinnerung daran eingeholt. Er stand jetzt näher bei ihr, und
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