Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Leben erzählt.“ Sie wollte ihn ein
wenig aus der Reserve locken und hatte einen koketten Ton angeschlagen. „Es
gibt keine anderen Frauen.“ Er setzte wieder zu einer Drehung an. Doch so
leicht wollte sie ihn nicht davonkommen lassen. „Aber es gab welche,
stimmt’s?“, fragte sie weiter. „Ach, Emma, was soll das?“ „Nun sag schon. Ich
möchte gern wissen, ob du schon mal verliebt warst.“ Der raue Stoff seines
schwarzen Anzugs kratzte auf ihrer Haut. Seine Bewegungen wurden langsamer und
gerieten schließlich aus dem Takt. „Warum antwortest du mir nicht? Ich will
doch nur wissen, ob du schon mal verliebt warst. Vor mir.“ Warum beantwortete
er diese Frage nicht einfach? Sie ärgerte sich. Sie bewegten sich kaum noch.
„Wenn ich Ja sagen würde, ja, ich war schon verliebt, dann tut es dir weh.“
„Aber ich will doch nur die Wahrheit wissen.“ Jemand stieß mit dem Ellbogen an
ihre Schulter. Ein anderes Paar drehte sich gefährlich nah an ihnen vorbei.
„Die Wahrheit ...“ „Ja, nur die einfache Wahrheit: Warst du schon mal
verliebt?“ Paul ließ die Arme sinken. Sie standen sich gegenüber, mitten auf
der Tanzfläche, umgeben von tanzenden Paaren. Die Musik spielte weiter. Alles
war wie zuvor, und doch hatte sich zwischen ihnen etwas geändert. Schon wollte
sie bereuen, dass sie überhaupt gefragt hatte, doch dann dachte sie an Hilde
Friedrich. Nein, so wie sie wollte sie nicht werden. Es ging ihr schon gar
nicht mehr darum, was er sagte. Nur
um ein Ja oder Nein. Aber selbst das sollte sie nicht bekommen. Er starrte sie
mit ausdruckslosen Augen an. Noch nie hatte er sie so angesehen. Warum nur
hatte sie so weit gehen müssen? Ohne ein weiteres Wort miteinander zu wechseln,
gingen sie zum Tisch zurück und verabschiedeten sich bald darauf. Ottmar
Friedrich besaß genügend Taktgefühl, nicht nach dem Grund ihres frühen
Abschieds zu fragen. Er wünschte ihnen „Gute Nacht und schöne Träume“, und
Hilde Friedrichs Diadem funkelte, als sie ihnen lächelnd zunickte.
Sie waren schon an der
Treppe, die hinunter zu ihrer Kabine führte, als Paul jäh stehen blieb. Laut
dröhnten die Turbinen, es roch nach Motorenöl, und es war stickig. „Ich möchte
so einen Abend nicht noch einmal erleben.“ Er presste die Lippen aufeinander
und sah sie zornig an. Obwohl sie schon geahnt hatte, dass Paul über den
Verlauf des Abends keineswegs glücklich war, so überraschte sie doch die
Heftigkeit seiner Reaktion. „Aber ...“ „Was?“, fuhr er sie an. „Es ... es war
doch ganz ... schön?“, sagte sie zaghaft. „Schön?“ Er schüttelte den Kopf und
verzog das gerötete Gesicht zu einem verächtlichen Lächeln. „Was war daran schön?
Wie du mit diesem aufgeblasenen Herrn getanzt hast?“ „Aber nein! Das meine ich
doch gar nicht. Du und ich, wir haben schließlich auch miteinander getanzt.“
Sie sah zu ihm auf und erschrak über seinen abweisenden Blick. „Du hast zu viel
Wein getrunken.“ Seine Worte trafen sie wie eine Ohrfeige. Sie wusste: Sie
würde jetzt nicht neben ihm einschlafen können. „Wollen wir nicht noch ein
wenig an Deck gehen?“, versuchte sie es. „Nein, ich bin müde“, antwortete er
schroff. Noch nie war er so kalt gewesen. „Ich hätte dich nicht fragen dürfen,
es tut mir Leid, Paul.“ Er wich ihrem Blick aus. „Wir sollten endlich schlafen
gehen“, sagte er nüchtern. „Es ist spät.“ „Ich komme nach.“ Langsam wandte sie
sich um und ging in Richtung Deck, mit einem kleinen Funken Hoffnung, dass er
sie doch noch begleiten würde. Aber er folgte ihr nicht. Dann hörte sie, wie er
die Kabinentür aufschloss. Sie seufzte über den verdorbenen Abend.
Draußen an Deck atmete
sie tief ein. Warum war sie mit Paul nicht viel früher hierher gekommen? Ihr
war nicht entgangen, dass er sich in Gesellschaft des Ehepaars unwohl gefühlt
hatte. Sie hätte ihn mit dem Tanzen nicht in Verlegenheit bringen dürfen. Aber
warum war er manchmal so – sie suchte nach einem passenden Wort –
so empfindlich? Warum schlug seine Stimmung so plötzlich um? Grübelnd wanderte
sie über das Deck. Wahrscheinlich hatte sie einen wunden Punkt bei ihm
getroffen. Sicher hatte Paul eine Frau geliebt. Vielleicht war sie tot?
Vielleicht hatte sie ihn verlassen? Jedenfalls wollte er nicht darüber sprechen
und konnte ihr das nicht sagen. Sie musste ihm einfach Zeit lassen.
Es wehte eine angenehme
Brise, und durch all die Fenster
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