Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Jahren nicht vergessen. Er hörte die
Stimme ganz deutlich, und er spürte wieder die Kraft und die Zuversicht, den
Trost und die Hoffnung, die ihm diese Sätze gegeben hatten. Sie hatten ihn
wieder leben lassen.
„Sie wollen es wirklich
wissen?“, fragte er. Sie nickte. Auch dies würde er ihr anvertrauen. „Er sagte
... Die Fähigkeit zur Liebe ist das
Großartigste, was Gott uns mitgegeben hat. Liebe kann heilen, und Liebe kann
verzeihen. Liebe lässt uns über uns selbst hinauswachsen.“
„Und“, fragte sie, „hat
er Recht gehabt, der Pfarrer?“ Ihre Worte bohrten sich in sein Fleisch und in
seine Seele, und ihr eindringlicher Blick nahm ihm den Rest seines Muts. Er
wandte sich ab. Die Frage hallte in seinen Ohren. Würde sie noch ein Geständnis ertragen? Es gab
kein Zurück mehr. „ Sie, Emma, sind
meine Liebe, die Liebe, die einen alles überwinden lässt ...“
Ihre Lippen zitterten,
und ihre Augen waren plötzlich ganz dunkel geworden. Er sollte jetzt einfach zu
ihr gehen, sie in die Arme schließen, sie festhalten ... doch er konnte sich
nicht rühren. Er stand am Geländer, zwei Schritte von ihr entfernt, und senkte
beschämt den Blick. Er hatte alles falsch gemacht. „Vielleicht“, hörte er sie
schließlich sagen, „hat Gott Ihnen gerade etwas mitgeteilt.“ Er verstand nicht.
„Was meinen Sie?“ Sie zögerte. „Vielleicht hat er diese Anstrengung ja gar
nicht von Ihnen verlangt, John?“
Nein, aus ihrem Blick
sprach kein Mitleid, der zornige Ausdruck war verschwunden, vielmehr sah eine Frau ihn an, die ihn verstand
und die nichts von ihm verlangte. Keine Entschuldigung, keine Beteuerung.
„Vielleicht hätte es Gott genügt, wenn Sie Ihren eigenen Frieden gefunden
hätten?“ Diese Möglichkeit hatte er nie gelten lassen. Er hatte sich zwanzig
Jahre lang etwas vorgemacht, war dem Ideal seines Ichs nachgehetzt, um am Ende
einsehen zu müssen, dass er es niemals erreichen würde. Und jetzt? Was sollte
er mit seinem Leben anfangen?
Sein Mund war trocken.
„Ich kann hier nicht mehr bleiben.“ Er konnte kaum sprechen, ihr nicht in die
Augen sehen. Aber er wusste, jetzt war der entscheidende Moment, der alles
verändern könnte ... wenn er denn noch Hoffnung für sein Leben hätte. „Emma
...“ Ihre Augen waren gerötet. Er machte einen Schritt auf sie zu, blieb dann
aber stehen. Zweifel stiegen wieder in ihm auf. „Emma ... wollen Sie ... mit
mir zusammen weggehen?“
Ihr Blick verschleierte sich. Ein Hund
bellte, irgendwo von den Hütten drangen dumpfe Steinschläge herüber, ein Kind
schrie ... „Ich kann nicht, John“, sagte sie auf einmal in nüchternem Ton,
stand auf, schenkte ihm noch einen Blick, einen letzten, so kam es ihm vor, und
schob sich an ihm vorbei. Er sah ihr nach, wie sie im Haus verschwand. Heute
hatte er zum zweiten Mal in seinem Leben alles verloren, was ihm etwas bedeutet
hatte. Er ging ins Haus, um zu packen. Noch heute würde er nach Stuart
aufbrechen.
4
Sie schlug die Tür
hinter sich zu und weinte. Erinnerungen an die lange Wanderung durch die Wüste
tauchten auf, wie John ihr beigestanden hatte, wie er mit ihr sprach,
zurückhaltend, verständnisvoll, wie er sie vor Paul in Schutz nahm. Sie hatte
es vergessen müssen, begriff sie jetzt, weil sie beide verheiratet waren. Er
mit Isabel und sie mit Paul. Es durfte nichts zwischen ihnen geben, kein
zärtliches Gefühl, kein tiefes Verständnis ... Sie schluckte den Kloß in ihrem
Hals hinunter. Es ist richtig gewesen, sagte sie sich und wusste, dass sie es
sich einredete. Und jetzt? Sie konnte nicht einfach weggehen. Die Menschen
brauchten sie. Oder nicht? Durfte sie denn ihren Gefühlen nachgeben? Durfte sie
ihr eigenes kleines Glück über das größere der anderen Menschen stellen? Was verlangte
Gott von ihr? War sie an einer Wegkreuzung angekommen, an der Gott sie eine
andere Richtung einschlagen ließ? Die Gedanken quälten sie. Sie lauschte auf
eine Stimme, die ihr sagte, was sie tun sollte. Rastlos lief sie im Haus umher
bis sie erschöpft auf einen Stuhl sank.
Irgendwann klopfte es an
der Tür. Sie dachte, es sei John, doch Amboora trat ein und hinter ihr Mamuru,
die Frau, die am Ende ihrer Kräfte aus der Wüste gekommen war. Emma sah
erstaunt auf. Mamuru, die schmächtiger war als Amboora, trug einen langen Rock
und hielt etwas in den Händen, doch in der durch den Türspalt dringenden
Helligkeit konnte Emma nicht erkennen, was es
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