Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Die
Berge waren bedrohlich nah gerückt, ihr Rot hatte sich in ein dunkles Grau
verwandelt. Eine beunruhigende Spannung lag in der Luft, es war drückend heiß,
kein Windhauch regte sich, und die Vögel flogen ungewöhnlich tief. Bei den
Hütten hatten die Hunde aufgehört zu bellen.
Emma stand zwischen den
Dattelpalmen vor der Veranda und ließ ihren Blick über das Land schweifen.
Schließlich ging sie ins Haus zurück. Drinnen, umgeben von dicken Mauern und schweren
Möbeln, fühlte sie sich plötzlich sicherer. Doch schon bald bedrückte sie die
Stille im Haus. Seit Pauls Tod hatte sie das Uhrpendel nicht wieder in Bewegung
gesetzt. Sie las die Uhrzeit inzwischen am Stand der Sonne ab, und wenn sie in
der Nacht aufwachte, genügte es ihr zu wissen, dass es irgendwann wieder hell
würde. Sie setzte sich im Schlafzimmer an den Waschtisch und sah in den blinden
Spiegel, in dem ihr ihr eigenes Gesicht als eine verzerrte gelblich graue Maske
entgegen starrte.
Gott will nicht, dass wir hier sind , hatte Paul geschrieben. Sie zog
eine der Schubladen auf, um die Lippensalbe herauszunehmen, die sie in Stuart
gekauft hatte, als ihre Hand hinter der Salbendose etwas berührte, das ihr
zuvor noch nicht aufgefallen war. Vorsichtig nahm sie es heraus. Ein Kästchen
aus dünnem Holz, vielleicht eine Zigarrenschachtel, kam zum Vorschein.
Behutsam, als könne es gleich zu Staub zerfallen, stellte sie es vor sich auf
die dunkle Holzplatte des Waschtischs. Sie hob die metallene Lasche an und dann
den Deckel. Was für eine Überraschung! Das außen so schmucklose Kästchen war
innen liebevoll mit rotem Stoff ausgeschlagen. Ein Schatzkästchen ... Über den
Inhalt staunte sie noch mehr: Da lag eine zarte dunkelbraune Haarlocke.
Vorsichtig berührte sie sie. Sie fühlte sich an wie die, die ihre Mutter
aufbewahrte, die ersten Locken ihrer Kinder ...
Auf einmal fühlte sie
sich schwindlig. Der Kreislauf, sagte sie sich, es ist nur der Kreislauf! Sie
hatte schließlich kaum etwas gegessen und getrunken, fiel ihr jetzt ein. Sie
stand langsam auf, ging ins Schlafzimmer und ließ sich auf das Bett sinken. Ihr
Herz hämmerte, und ihre Kleider waren schweißnass.
„Amboora!“, rief sie,
doch niemand antwortete. Vielleicht war sie draußen bei den Hütten. „Amboora!“
Nur keine Angst, machte sie sich Mut, ganz ruhig bleiben. Ich muss nur einfach
gleichmäßig weiteratmen. Sogleich zwang sie sich, tief Luft zu holen und
langsam auszuatmen. Es passiert mir nichts, murmelte sie immer wieder, es ist
nur der Kreislauf. Gleich, gleich ist es vorüber. Doch ihre Gedanken ließen sie
nicht zur Ruhe kommen. War das da in dem Kästchen die Locke des Kindes, das
Margarete geboren hatte? Was war mit ihm geschehen? Was mit Margarete? Und
sollte wirklich Robert der Vater sein? Irgendwann schlief sie vor Erschöpfung
ein.
5
„Was ist?“, fragte
Robert, doch Moses schüttelte nur müde den Kopf. Er fühlte sich seit Tagen
nicht gut. „Hast du etwas Falsches gegessen?“ Moses antwortete nicht, drehte
den Kopf weg und sah in den Himmel. Robert stemmte die Hände in die Hüften und
seufzte. „Mann, wenn du mir nicht sagst, was los ist, kann ich dir auch nicht
helfen.“
Doch Moses hörte ihn
nicht, er lag einfach nur unter seiner Decke neben dem Lagerfeuer, über dem
Robert an einem Spieß ein Kanninchen briet. Normalerweise war Moses so
ungeduldig, dass er nicht einmal abwartete, bis der Braten fertig war, und ihn
noch blutig aß, doch heute zeigte er keinerlei Interesse. Den ganzen Tag schon
hatte er nichts außer ein paar Mund voll Wasser zu sich genommen. Robert wandte
seinen Blick von den Flammen hinauf zu den Sternen. Als er eine Sternschnuppe
entdeckte, verdrängte er rasch die aufkommende Erinnerung. Warum quälte er
sich? Emma war unerreichbar. Er würde einfach weiter durchs Land ziehen und
Fotos machen, bis er irgendwann sterben würde. Vielleicht hätte er Gelegenheit,
sie sich vorher noch einmal alle anzusehen, und dann würde ihm auffallen, dass
er eines nicht gemacht hatte: das von Emma ...
Moses stöhnte auf und
drehte sich zur Seite. Aus heiterem Himmel war Moses krank geworden. In den
anderthalb Jahren, seit Robert mit ihm unterwegs war, war er noch nie krank
gewesen. Robert sah wieder in den Himmel. Die Sternschnuppe war schon längst
verglüht. Was sie wohl machte ... Emma? Er wollte den Gedanken sofort
verdrängen, aber es gelang ihm nicht. Er fühlte sie, wie sie
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