Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
„Mister Marshall“, sagte sie,
„ich bin sicher, Sie sehen die Menschen hinter mir.“ Sie machte eine kurze
Pause, in der die drei Männer tatsächlich die Eingeborenen betrachteten. Ihr
Unbehagen war ihnen anzumerken. „Sie werden diesen Berg nicht anrühren, Mister
Marschall.“ „Aber Frau Schott, das ist doch ...“ Johannes Reichel schüttelte
nachsichtig lächelnd den Kopf, als hätte er es mit einer Irren zu tun. „...
ganz und gar nicht lächerlich, Herr Superintendent.“
Sie drehte sich um und
sah, dass die Männer schon ihre Speere in der Hand hielten. Der Superintendent lachte
erstickt. „Frau Schott, Sie werden sich als Dienerin der Kirche und der
Missionsgesellschaft sofort meinen Befehlen beugen!“ Reichels Gesicht lief rot
an. Sein Bärtchen zitterte.
„Das werde ich nicht“,
beharrte Emma mit stoischer Ruhe. „Sie werden!“, schrie er jetzt. „Das werde
ich nicht.“ Einen Moment lang schien der Superintendent ratlos zu sein. Auf
diesen Widerstand war er nicht vorbereitet. Bevor ihm eine Antwort einfiel,
sagte Emma: „Sie werden jetzt nach Stuart zurückreiten. Und ich werde hier auf
den neuen Missionar warten. Ach ja ...“ Auch sie setzte jetzt ein Lächeln auf.
„Selbstverständlich können Sie Ihre Wasserflaschen bei uns auffüllen. Wissen
Sie ...“ Sie sah allen dreien nacheinander in die Augen. „Ich glaube, wir
sollten begreifen, dass wir hier die
Eindringlinge sind. Wir sind es, die
nicht hierher gehören, und nicht die Menschen, die schon seit tausenden von
Jahren hier leben.“
Der Superintendent
öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, schloss ihn jedoch wieder. „Suchen
Sie, wenn Sie nicht anders können, woanders nach Bodenschätzen, aber nicht
hier!“ Reichel fand allmählich seine Sprache wieder. „Sie haben vergessen, Frau
Schott, dass Sie mit Ihrem Mann hierher geschickt wurden, um die Menschen von
ihrem barbarischen Heidentum zu erlösen.“
Barbarisch? Sie dachte an ihre gefallenen
Brüder, an die zwanzig Millionen Toten, die der Krieg gefordert hatte ...
„Glauben Sie etwa, wir seien nicht barbarisch?“, gab sie herausfordernd zurück.
Reichel schüttelte verständnislos den Kopf. „Sie, Frau Schott ...“ Er rang nach
Luft. „Sie haben wohl vergessen, woher Sie kommen! Was hätte Ihr Gatte dazu
gesagt? Sie sind der Kirche verpflichtet! Sie ... Sie haben ja völlig den
Verstand verloren! Mister Marshall, fangen Sie schon an!“ Der Geologe wirkte
unsicher.
„Ich warne Sie, Mister
Marshall!“, sagte Emma und bedauerte, dass sie die Flinte nicht bei sich hatte.
„Wollen Sie sich etwa einschüchtern lassen?“, ereiferte sich Reichel, an den
Geologen gewandt, der mindestens einen Kopf größer war als er. „Nein ...“, gab
dieser zögerlich zurück.
„Dann los!“, rief Reichel schrill und stampfte mit dem Fuß
auf. „Und du hilfst ihm!“ Er sah seinen Assistenten an, der sich unter dem Hut
nervös am Kopf kratzte. Der Geologe drehte sich schließlich zu seinem Kamel um
und nahm einen Pickel und eine Holzkiste aus der Satteltasche. „Tun Sie es
nicht, Mister Marshall!“, wiederholte Emma. Doch der Geologe hielt nur kurz
inne und ging dann an ihr vorbei in Richtung der Anhöhe. Reichel sah Emma
triumphierend an. Sie drehte sich zu Isi um, und in diesem Augenblick surrte es
... Ein Speer schoss durch die Luft und bohrte sich mit seiner scharfen Spitze
eine Fußlänge vor dem Geologen in die Erde. Der blieb wie vom Blitz getroffen
stehen. Auch Reichel war erstarrt. Aus dem langen Gesicht des Assistenten war
jegliche Farbe gewichen.
„Ich habe Sie gewarnt“, sagte Emma. Reichel schluckte. Unter
den Eingeborenen breitete sich Unruhe aus. Der Geologe rannte zu seinem Kamel
zurück und verstaute seine Sachen wieder in der Satteltasche. Der Assistent
folgte ihm. „Sie hören von uns!“, brachte der Superintendent noch hervor, dann
drehte er sich auf dem Absatz um. Alle drei stiegen auf ihre Kamele, ließen sie
aufstehen und rissen am Zügel. Ohne ein weiteres Wort galoppierten sie davon
und wirbelten eine dichte Staubwolke auf.
Emma drehte sich um.
Amboora, Mani und Isi, die direkt hinter ihr standen, lachten laut. Emma lachte
auch, doch sie wusste, dass dieser Sieg nicht von Dauer war. Schon bald käme
die nächste Delegation, und die würde sich nicht so einfach einschüchtern
lassen. Sie brauchte einen Plan, und zwar schnell. Und noch etwas anderes
versetzte sie in Unruhe und
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