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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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Sorge: John war nicht in Stuart angekommen.

12
    John Wittling lehnte an
    der Theke des „Stuart Arms“ und trank voller Erleichterung ein Bier. Der
    Sandsturm hatte ihn zuerst aufgehalten und dann vom Weg abgebracht. Er hatte
    sich verirrt, war glücklicherweise auf ein Wasserloch gestoßen und hatte sich
    dann wieder am Verlauf der Berge orientieren können. Doch erst heute, fünf Tage
    später als vorgesehen, war er in Stuart angekommen. Er strich sich über das
    gescheitelte, frisch gewaschene Haar. Den Besuch bei den Shaws hatte er gerade
    hinter sich gebracht. Ihre Einladung zum Lunch hatte er nicht abschlagen
    können, obwohl es ihm lieber gewesen wäre, sich irgendwohin zu verkriechen, wo
    ihn niemand kannte. Vor einer Stunde hatte er sich verabschiedet und war ins
    Pub gegangen. Als es um sein Ausscheiden aus dem Missionsdienst gegangen war,
    hatte er ausweichend geantwortet. Aber er hatte gedrängt, Hilfe nach Neumünster
    zu schicken, da Emma dort warte. Mr. und Mrs. Shaw waren über die Ereignisse,
    die er ihnen berichtete, bestürzt und hatten ihm aber dann mitgeteilt, dass der
    Superintendent der Missionsgesellschaft schon nach Neumünster unterwegs sei. Da
    war ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Emma wäre nicht mehr allein.
    Emma ... Immer wieder tauchte sie in
    seinen Gedanken auf. Im Sandsturm hatte er ihr Gesicht gesehen und ihre Stimme
    gehört, und er hatte sich selbst verflucht, dass er nicht die Kraft gehabt
    hatte, auf der Missionsstation zu bleiben. Er hatte versagt. In ihren Augen
    musste er ein Schwächling sein. Ich bin es ja auch, dachte er. Er nahm einen
    Schluck von seinem Bier und zwang sich, an etwas anderes zu denken. Doch es
    gelang ihm nicht. Er wusste noch nicht, was er tun würde. Das Land war groß
    genug. Zuerst musste er fort von hier. Weit, weit fort ...
    „Noch eins?“, fragte die
    Wirtin freundlich. „Ja.“ Er schob ihr das leere Glas hin. Wie hatte er sich
    seit Pauls Beerdigung gequält! Waren die letzten zwanzig Jahre seines Lebens
    wirklich ein Irrtum gewesen? Hatte er sich die ganze Zeit nur etwas vorgemacht?
    Warum konnte er nicht vergeben? Er hatte alle Menschen in seiner Umgebung
    enttäuscht. Seufzend griff er zu dem frisch gefüllten Glas. Die Schwingtür
    öffnete sich, und John sah auf. Ein hoch gewachsener Mann mit Hut kam herein.
    Er kannte ihn, und er legte keinen Wert darauf, ihm wieder zu begegnen: Robert
    Gordon.
    Mit ausgreifenden
    Schritten kam er auf die Theke zu. Auch er schien nicht sonderlich erfreut zu
    sein, John Wittling zu begegnen. Dennoch verzog er das sonnengegerbte Gesicht
    zu einem Lächeln. Er sah erschöpft aus. Bestimmt hatte er sich tagelang nicht
    rasiert und auch die Kleider nicht gewechselt.
    „Hallo, Mister Wittling!“ Der Fotograf, der fast einen Kopf
    größer war als er, stellte sich neben ihn an die Theke. Um seinen Hals hing ein
    verschwitztes rotes Tuch. „Was machen Sie hier? Urlaub?“ Er grinste, doch John
    wollte sich nicht provozieren lassen und sagte nüchtern: „Ich wusste gar nicht,
    dass Sie noch in der Gegend sind.“ „Ich hatte was zu erledigen. Wie geht’s
    Pastor Schott?“, Das höfliche Lächeln auf Johns Gesicht gefror. „Pastor Schott
    ist verstorben“, sagte er tonlos. „Was? Und wo, wo ist Emma? Ist sie hier?“
    Robert Gordon sah sich um. „Wo ist sie?“, fragte er schroff. „Sie ist in
    Neumünster geblieben.“ John konnte sich nicht zurückhalten und fügte bitter
    hinzu: „Warum fahren Sie nicht gleich hin?“ „Was?“ Einen Augenblick lang
    glaubte John, Robert Gordon wollte ihn am Kragen seines weißen Hemdes packen
    und schütteln. Doch er tat nichts dergleichen, sondern bestellte ein Bier und
    starrte nachdenklich auf das Gläserregal hinter der Theke. „Es ist schon jemand
    unterwegs zu ihr“, sagte John und fühlte sich plötzlich noch schuldiger. Wie
    hatte er Emma nur allein lassen können! Aber ... was hätte er sonst tun sollen?

    Robert Gordon stürzte
    sein Bier hinunter und wischte sich mit dem Ärmel seines karierten Hemds über
    den Mund. Er schien nachzudenken. Was für eine unmögliche Situation, dachte
    John und erinnerte sich an die Nacht, als Emma und Robert auf der Veranda
    gesessen hatten. Ob Robert Gordon wusste, dass Emma auch ihm viel bedeutete?
    „Dann sind Sie sozusagen schon auf dem Rückweg nach Neumünster?“, fragte Robert
    Gordon nach einer Weile.
    John überdachte diese
    Möglichkeit. Doch dann verwarf er sie. Emma liebte ihn nicht; kalt und

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