Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Jalyuri
sah hinauf in den hellblauen Himmel. Er dachte an den alten Pastor, der seinen
Bruder auf den Namen Moses getauft hatte. Moses, nach dem Mann, der von Gott
auf einem Berg die Zehn Gebote bekommen hatte. Wie stolz war Moses damals
gewesen. Als Jalyuri jetzt hinüber zum rot leuchtenden Berg blickte, da war es
ihm plötzlich, als verkünde Gott ihm, Jalyuri, die heiligen Gesetze. „Du
sollst nicht töten!“ , klang es in seinem Ohr. „Du sollst nicht töten!“
„Jalyuri!“ Er fuhr
zusammen, der Älteste hatte den Speer aufgenommen und ihn wieder in den Boden
gerammt, direkt vor Jalyuris Füße. Der Älteste schien plötzlich noch größer und
stärker zu sein als sonst. „Noch ist dein Sohn nicht wieder krank geworden
...“, sagte er drohend.
Jalyuri sah auf den
Boden und nickte. Ja, bis jetzt nicht, aber wenn er wieder krank würde ...
„Gehen wir weiter“, sagte der Älteste wieder besänftigt. „Wenn wir nichts mit
zurückbringen, müssen wir hungrig schlafen.“ Auch Jalyuri hob seinen Speer an
und ging los. Fünfzig Schritt vor sich erspähte er einen Schatten. Ein Känguru!
Wie lange schon hatten sie keines gesehen – und gegessen. Leicht wog der
Speer in Jalyuris Hand, er würde weit fliegen, weit und schnell. Doch
springende Kängurus waren mit dem Speer nur schwer zu treffen. Manchmal, wenn
mehrere Männer zusammen jagten, dann zündete einer ein Feuer an, während die
übrigen Männer auf der vom Rauch abgewandten Seite eine Linie bildeten. Das
Känguru floh mit schmerzenden Augen vor dem Rauch des Feuers – direkt auf
die Jäger zu, blieb vor ihnen stehen und rieb sich die Tränen aus den
brennenden Augen. In diesem Augenblick warfen die Männer ihre Speere. Doch
diesmal waren sie nur zu zweit. Diesmal mussten sie es anders schaffen –
oder sie würden ohne Beute zu den Kindern und Frauen zurückkehren. In Jalyuris
Adern pochte das Blut. Da, das Känguru verließ die Deckung des Buschs! Es
lauschte, bemerkte die Männer nicht und beugte arglos den Kopf und rupfte Gras,
das in spärlichen Büscheln auf der roten, steinigen Erde wuchs. Jalyuri und der
Älteste waren in ihren Bewegungen erstarrt. Sie atmeten nicht mehr, waren zu
Felsen geworden. Jalyuris Gedanken zogen den Arm mit dem Speer nach hinten,
schleuderten ihn – die Speerspitze traf direkt ins Herz. Dann erst warf
Jalyuris Arm. Der Speer mit der steinernen Spitze schwirrte durch die Luft, das
Känguru hob den Kopf, sah die Jäger, hörte den Speer, doch es war längst zu
spät, um zu fliehen. Es sah seinem unausweichlichen Tod ins Auge. Da bohrte
sich Jalyuris Speer auch schon in seine weiche Brust. Der Speer des Alten
folgte einen Herzschlag später, traf in den Hals. Das Känguru brach zusammen,
ein letztes Zittern durchlief seinen Körper, bis es reglos liegen blieb. Die
glücklichen Jäger eilten herbei, zogen ihre Speere aus dem grauen Fell. Blut
tropfte von den Speerspitzen auf die trockene Erde. Ein großes Känguru, stellte
Jalyuri fest. Ihm, dem Jäger, standen das Hinterteil, der Schwanz und der Kopf
des Tiers zu. Das rechte Bein bekam der Onkel mütterlicherseits, dann gab es
ganz bestimmte Stücke für seine Eltern, die aber nicht mehr lebten, und weitere
Verwandte. Das waren die Gesetze. Sie waren so unantastbar und unveränderbar,
dass der Älteste, der auch bei anderen Stämmen Ansehen genoss, dorthin gehen
und von einem Tier, das ein Verwandter erlegt hatte, ohne Erklärung seinen
Anteil abschneiden könnte.
Jalyuri und der Älteste
banden die Vorder-und Hinterläufe mit Gräsern zusammen und zogen einen Speer
hindurch, den sie an beiden Enden trugen. Das Tier war schwer, aber Jalyuri
fühlte sich beschwingt. Er hatte an die Zehn Gebote gedacht und im selben
Moment war das Känguru aufgetaucht. Ein gutes Zeichen. „Jalyuri“, sagte der
Älteste, „das Känguru haben uns die Ahnen geschickt, um uns an das Gesetz zu
erinnern.“ Jalyuri erwiderte nichts. Die Götter werden alles regeln, beruhigte
er sich, und sogleich hallte das zweite Gebot in seinen Ohren: „Du sollst keine fremden Götter neben mir haben.“
Jalyuri stöhnte leise.
Schweigend marschierten sie hintereinander her. Plötzlich entdeckte der Älteste
eine schwarze Schlange. Das zarte Fleisch von Schlangen war die von den Alten
bevorzugte Nahrung, weil sie oftmals ihre Zähne verloren hatten und das zähe
Fleisch von Kängurus, Emus und Ratten nicht mehr kauen konnten. Meist kauten
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