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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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Jalyuri
    sah hinauf in den hellblauen Himmel. Er dachte an den alten Pastor, der seinen
    Bruder auf den Namen Moses getauft hatte. Moses, nach dem Mann, der von Gott
    auf einem Berg die Zehn Gebote bekommen hatte. Wie stolz war Moses damals
    gewesen. Als Jalyuri jetzt hinüber zum rot leuchtenden Berg blickte, da war es
    ihm plötzlich, als verkünde Gott ihm, Jalyuri, die heiligen Gesetze. „Du
    sollst nicht töten!“ , klang es in seinem Ohr. „Du sollst nicht töten!“
    „Jalyuri!“ Er fuhr
    zusammen, der Älteste hatte den Speer aufgenommen und ihn wieder in den Boden
    gerammt, direkt vor Jalyuris Füße. Der Älteste schien plötzlich noch größer und
    stärker zu sein als sonst. „Noch ist dein Sohn nicht wieder krank geworden
    ...“, sagte er drohend.
    Jalyuri sah auf den
    Boden und nickte. Ja, bis jetzt nicht, aber wenn er wieder krank würde ...
    „Gehen wir weiter“, sagte der Älteste wieder besänftigt. „Wenn wir nichts mit
    zurückbringen, müssen wir hungrig schlafen.“ Auch Jalyuri hob seinen Speer an
    und ging los. Fünfzig Schritt vor sich erspähte er einen Schatten. Ein Känguru!
    Wie lange schon hatten sie keines gesehen – und gegessen. Leicht wog der
    Speer in Jalyuris Hand, er würde weit fliegen, weit und schnell. Doch
    springende Kängurus waren mit dem Speer nur schwer zu treffen. Manchmal, wenn
    mehrere Männer zusammen jagten, dann zündete einer ein Feuer an, während die
    übrigen Männer auf der vom Rauch abgewandten Seite eine Linie bildeten. Das
    Känguru floh mit schmerzenden Augen vor dem Rauch des Feuers – direkt auf
    die Jäger zu, blieb vor ihnen stehen und rieb sich die Tränen aus den
    brennenden Augen. In diesem Augenblick warfen die Männer ihre Speere. Doch
    diesmal waren sie nur zu zweit. Diesmal mussten sie es anders schaffen –
    oder sie würden ohne Beute zu den Kindern und Frauen zurückkehren. In Jalyuris
    Adern pochte das Blut. Da, das Känguru verließ die Deckung des Buschs! Es
    lauschte, bemerkte die Männer nicht und beugte arglos den Kopf und rupfte Gras,
    das in spärlichen Büscheln auf der roten, steinigen Erde wuchs. Jalyuri und der
    Älteste waren in ihren Bewegungen erstarrt. Sie atmeten nicht mehr, waren zu
    Felsen geworden. Jalyuris Gedanken zogen den Arm mit dem Speer nach hinten,
    schleuderten ihn – die Speerspitze traf direkt ins Herz. Dann erst warf
    Jalyuris Arm. Der Speer mit der steinernen Spitze schwirrte durch die Luft, das
    Känguru hob den Kopf, sah die Jäger, hörte den Speer, doch es war längst zu
    spät, um zu fliehen. Es sah seinem unausweichlichen Tod ins Auge. Da bohrte
    sich Jalyuris Speer auch schon in seine weiche Brust. Der Speer des Alten
    folgte einen Herzschlag später, traf in den Hals. Das Känguru brach zusammen,
    ein letztes Zittern durchlief seinen Körper, bis es reglos liegen blieb. Die
    glücklichen Jäger eilten herbei, zogen ihre Speere aus dem grauen Fell. Blut
    tropfte von den Speerspitzen auf die trockene Erde. Ein großes Känguru, stellte
    Jalyuri fest. Ihm, dem Jäger, standen das Hinterteil, der Schwanz und der Kopf
    des Tiers zu. Das rechte Bein bekam der Onkel mütterlicherseits, dann gab es
    ganz bestimmte Stücke für seine Eltern, die aber nicht mehr lebten, und weitere
    Verwandte. Das waren die Gesetze. Sie waren so unantastbar und unveränderbar,
    dass der Älteste, der auch bei anderen Stämmen Ansehen genoss, dorthin gehen
    und von einem Tier, das ein Verwandter erlegt hatte, ohne Erklärung seinen
    Anteil abschneiden könnte.
    Jalyuri und der Älteste
    banden die Vorder-und Hinterläufe mit Gräsern zusammen und zogen einen Speer
    hindurch, den sie an beiden Enden trugen. Das Tier war schwer, aber Jalyuri
    fühlte sich beschwingt. Er hatte an die Zehn Gebote gedacht und im selben
    Moment war das Känguru aufgetaucht. Ein gutes Zeichen. „Jalyuri“, sagte der
    Älteste, „das Känguru haben uns die Ahnen geschickt, um uns an das Gesetz zu
    erinnern.“ Jalyuri erwiderte nichts. Die Götter werden alles regeln, beruhigte
    er sich, und sogleich hallte das zweite Gebot in seinen Ohren: „Du sollst keine fremden Götter neben mir haben.“
    Jalyuri stöhnte leise.
    Schweigend marschierten sie hintereinander her. Plötzlich entdeckte der Älteste
    eine schwarze Schlange. Das zarte Fleisch von Schlangen war die von den Alten
    bevorzugte Nahrung, weil sie oftmals ihre Zähne verloren hatten und das zähe
    Fleisch von Kängurus, Emus und Ratten nicht mehr kauen konnten. Meist kauten

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