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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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sprechen können. Die Sprache
    erinnert uns an unsere Wurzeln. Ohne Wurzeln kann keine Pflanze leben –
    und es ist auch nicht gut für den Menschen. Die Sprache, das Wort ...“ Er brach
    ab, wurde rot, als schäme er sich plötzlich, so ausschweifend geworden zu sein.
    Doch Paul sagte ernst: „Ja, am Anfang war das Wort.“ Albert Keil sah ihn
    überrascht an und nickte dann erleichtert. Er bewundert ihn, dachte Emma und
    stellte fest, dass sie trotz allem stolz war auf Paul. Paul kletterte zuerst in
    die Droschke und hielt dann Emma seinen Arm hin, um ihr zu helfen.
    Albert Keil schwang die
    lange Peitsche über den Rücken der Pferde, die sich ohne Hast in Bewegung setzten.
    Die Droschke ruckte, und Emma lehnte sich zurück. Jetzt war sie also
    angekommen, auf der anderen Seite der Welt. Sie nahm Pauls Hand. Hier würden
    sie ein neues Leben beginnen. Ihre ganze Kraft bräuchten sie für ihre gewaltige
    Aufgabe. Das, was geschehen war, sollte keine Bedeutung mehr haben.

    13
    Jalyuri ging neben dem
    Ältesten her. Beide hatten einen Speer in der Hand und waren am Morgen zum
    Jagen aufgebrochen. Der Älteste war ein guter Jäger, obwohl er nicht mehr so
    schnell laufen konnte, aber seine Augen waren scharf wie die eines Raubvogels.
    Sogar der Schatten eines huschenden Lizards entging ihm nicht. One Leg und
    Nooma-Nooma waren in eine andere Richtung aufgebrochen, um ihr Glück zu
    versuchen, und die Frauen durchstreiften mit den Kindern die Gegend nach Bush
    Tucker: Beeren, essbaren Wurzeln und Blättern. Seinem Sohn Jungala ging es
    wieder besser, er war mit den Frauen unterwegs.
    Jalyuri trug seine lange
    Hose, die schon überall Löcher hatte. Die drei breiten Narben, die sich quer
    über seinen sehnigen Brustkorb zogen, zeichneten sich deutlich ab. Oft dachte
    er nicht daran. Nur manchmal, wenn er sich in einem Wasser gespiegelt sah oder
    wenn er an sich hinunterblickte, erinnerte sich wieder daran, wie sein älterer
    Bruder sie ihm beigebracht hatte. „Damit du dich immer an mich erinnerst, damit
    wir immer im Geiste miteinander verbunden sind, möchte ich das tun“, hatte er
    gesagt. Jalyuri war fünfzehn gewesen und sein Bruder zwei Jahre älter. Jalyuri
    war stolz gewesen, dass er seinem Bruder so viel bedeutete, und hatte
    eingewilligt.
    Der Älteste – ein
    hochgewachsener, sehniger Mann - musterte Jalyuri aus seinen schmalen Augen.
    Jalyuri erschauerte, obwohl er ganz und gar kein ängstlicher Mann war. Kein
    Mann seines Stammes war ängstlich. Als kleine Jungen schon legten sie sich
    glühende Kohlen auf die nackten Arme, und derjenige, der das größte Stück Kohle
    am längsten ertrug, galt als der Stärkste. Nein, Angst vor dem Tod oder vor
    Schmerzen kannte er nicht. Aber es gab andere Ängste, gegen die jeder Mann machtlos
    war. „Hast du mich gehört, Jalyuri?“ Die Stimme des Ältesten war lauter
    geworden. „Wo ist er?“ „Ich weiß nicht“, antwortete Jalyuri wahrheitsgemäß.
    Der Älteste blickte zum
    Himmel hinauf, dachte vielleicht darüber nach, ob Jalyuri es wagen würde, ihn,
    den Stammesältesten, zu belügen. Schweigend gingen sie weiter über die heiße
    Erde, ohne dass die spitzen Steine und die scharfen Dornen der Büsche ihren
    nackten Füßen etwas anhaben konnten. Der Älteste hatte ein zerrissenes Hemd
    über die Hose gezogen. Seitdem die Missionare ihnen Kleidung gegeben und ihnen
    verboten hatten, nackt zu sein, hatten sich die Männer daran gewöhnt,
    wenigstens eine Hose anzuziehen, und die Frauen einen Rock. Nur der Medizinmann
    weigerte sich, irgendein Kleidungsstück anzunehmen. Hosen waren allerdings
    praktisch. Sie hatten Taschen, in denen man wichtige Dinge aufbewahren konnte,
    wie zum Beispiel Feuersteine oder Pitjuri, das Kraut, das gute Gedanken
    schenkte. Jalyuri erinnerte sich an seinen Vater. Der hatte keine Hosen gekannt,
    trug nur einen Grasgürtel und musste alle wichtigen Utensilien in einem kleinen
    Geflecht im Haarknoten verstauen. „Du willst es nicht wissen“, sagte der
    Älteste in ihr Schweigen hinein, „du denkst an alles andere, nur nicht daran,
    wo er ist.“ Jalyuri fühlte sich ertappt. Ja, er hatte an alles andere gedacht,
    an ihre Hosen, an den Haarknoten seines Vaters ... Da blieb der Älteste
    plötzlich stehen und rammte seinen Speer in den Boden. „Du bist sein Bruder.“
    Der Blick des Ältesten ließ von ihm ab, schweifte über das Land, hinüber zum
    Fuß der Berge, dem riesigen zu Stein gewordenen Leib der Ahnenraupe.

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