Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
sprechen können. Die Sprache
erinnert uns an unsere Wurzeln. Ohne Wurzeln kann keine Pflanze leben –
und es ist auch nicht gut für den Menschen. Die Sprache, das Wort ...“ Er brach
ab, wurde rot, als schäme er sich plötzlich, so ausschweifend geworden zu sein.
Doch Paul sagte ernst: „Ja, am Anfang war das Wort.“ Albert Keil sah ihn
überrascht an und nickte dann erleichtert. Er bewundert ihn, dachte Emma und
stellte fest, dass sie trotz allem stolz war auf Paul. Paul kletterte zuerst in
die Droschke und hielt dann Emma seinen Arm hin, um ihr zu helfen.
Albert Keil schwang die
lange Peitsche über den Rücken der Pferde, die sich ohne Hast in Bewegung setzten.
Die Droschke ruckte, und Emma lehnte sich zurück. Jetzt war sie also
angekommen, auf der anderen Seite der Welt. Sie nahm Pauls Hand. Hier würden
sie ein neues Leben beginnen. Ihre ganze Kraft bräuchten sie für ihre gewaltige
Aufgabe. Das, was geschehen war, sollte keine Bedeutung mehr haben.
13
Jalyuri ging neben dem
Ältesten her. Beide hatten einen Speer in der Hand und waren am Morgen zum
Jagen aufgebrochen. Der Älteste war ein guter Jäger, obwohl er nicht mehr so
schnell laufen konnte, aber seine Augen waren scharf wie die eines Raubvogels.
Sogar der Schatten eines huschenden Lizards entging ihm nicht. One Leg und
Nooma-Nooma waren in eine andere Richtung aufgebrochen, um ihr Glück zu
versuchen, und die Frauen durchstreiften mit den Kindern die Gegend nach Bush
Tucker: Beeren, essbaren Wurzeln und Blättern. Seinem Sohn Jungala ging es
wieder besser, er war mit den Frauen unterwegs.
Jalyuri trug seine lange
Hose, die schon überall Löcher hatte. Die drei breiten Narben, die sich quer
über seinen sehnigen Brustkorb zogen, zeichneten sich deutlich ab. Oft dachte
er nicht daran. Nur manchmal, wenn er sich in einem Wasser gespiegelt sah oder
wenn er an sich hinunterblickte, erinnerte sich wieder daran, wie sein älterer
Bruder sie ihm beigebracht hatte. „Damit du dich immer an mich erinnerst, damit
wir immer im Geiste miteinander verbunden sind, möchte ich das tun“, hatte er
gesagt. Jalyuri war fünfzehn gewesen und sein Bruder zwei Jahre älter. Jalyuri
war stolz gewesen, dass er seinem Bruder so viel bedeutete, und hatte
eingewilligt.
Der Älteste – ein
hochgewachsener, sehniger Mann - musterte Jalyuri aus seinen schmalen Augen.
Jalyuri erschauerte, obwohl er ganz und gar kein ängstlicher Mann war. Kein
Mann seines Stammes war ängstlich. Als kleine Jungen schon legten sie sich
glühende Kohlen auf die nackten Arme, und derjenige, der das größte Stück Kohle
am längsten ertrug, galt als der Stärkste. Nein, Angst vor dem Tod oder vor
Schmerzen kannte er nicht. Aber es gab andere Ängste, gegen die jeder Mann machtlos
war. „Hast du mich gehört, Jalyuri?“ Die Stimme des Ältesten war lauter
geworden. „Wo ist er?“ „Ich weiß nicht“, antwortete Jalyuri wahrheitsgemäß.
Der Älteste blickte zum
Himmel hinauf, dachte vielleicht darüber nach, ob Jalyuri es wagen würde, ihn,
den Stammesältesten, zu belügen. Schweigend gingen sie weiter über die heiße
Erde, ohne dass die spitzen Steine und die scharfen Dornen der Büsche ihren
nackten Füßen etwas anhaben konnten. Der Älteste hatte ein zerrissenes Hemd
über die Hose gezogen. Seitdem die Missionare ihnen Kleidung gegeben und ihnen
verboten hatten, nackt zu sein, hatten sich die Männer daran gewöhnt,
wenigstens eine Hose anzuziehen, und die Frauen einen Rock. Nur der Medizinmann
weigerte sich, irgendein Kleidungsstück anzunehmen. Hosen waren allerdings
praktisch. Sie hatten Taschen, in denen man wichtige Dinge aufbewahren konnte,
wie zum Beispiel Feuersteine oder Pitjuri, das Kraut, das gute Gedanken
schenkte. Jalyuri erinnerte sich an seinen Vater. Der hatte keine Hosen gekannt,
trug nur einen Grasgürtel und musste alle wichtigen Utensilien in einem kleinen
Geflecht im Haarknoten verstauen. „Du willst es nicht wissen“, sagte der
Älteste in ihr Schweigen hinein, „du denkst an alles andere, nur nicht daran,
wo er ist.“ Jalyuri fühlte sich ertappt. Ja, er hatte an alles andere gedacht,
an ihre Hosen, an den Haarknoten seines Vaters ... Da blieb der Älteste
plötzlich stehen und rammte seinen Speer in den Boden. „Du bist sein Bruder.“
Der Blick des Ältesten ließ von ihm ab, schweifte über das Land, hinüber zum
Fuß der Berge, dem riesigen zu Stein gewordenen Leib der Ahnenraupe.
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