Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
hupten,
Kutscher schnalzten, Pferde schnaubten, und überall Menschen, die einstiegen,
ausstiegen, Koffer öffneten, wieder schlossen, sich umarmten, Mäntel aus-und
anzogen ... „Hallo, Dienstmädchen gesucht!“, rief eine Frau mit langen,
spitzenbesetzten Röcken und einem wagenradgroßen Hut, der ihr Gesicht
verdeckte, und winkte in ihre Richtung. Sehe ich aus wie ein Dienstmädchen?,
schoss es Emma durch den Kopf. Aber, wie sahen Dienstmädchen denn eigentlich
aus? Sie kamen allein, ohne Mann... Neben Emma eilte eine junge Frau vorbei,
ohne Begleitung – einen schäbigen Koffer in der Hand. „Hierher, kommen
Sie hierher!“ Das kam von einer anderen Frau, mit einem mindestens genauso
großen Hut, an dem ein blaues Band wehte. „Aber meine Dame, warten Sie!“ Der
Mann, der mit dem Hut gewinkt hatte, eilte auf Emma zu und streckte die Arme
nach ihren Koffern aus. Dankbar überließ sie sie ihm. Er hatte ein zartes
Gesicht mit einem spärlichen altmodischen Backenbart. Er trug einen schlecht
sitzenden schwarzen Anzug, dessen Stoff schon an einigen Stellen glänzte, die
Jacke spannte über der Brust und drohte den Knopf zu sprengen, die Hosenbeine
waren sicher zehn Zentimeter zu kurz, das Leder der schwarzen Schuhe war
abgeschabt, verbeult und staubig. „Danke! Wie haben Sie uns erkannt?“, fragte
sie atemlos. „Oh, man hat sie mir beschrieben: Pastor Paul Schott hat rotes
Haar, wie der Teufel!“ Er lachte, und Paul, der neben dem schmächtigen jungen
Mann noch stattlicher wirkte, fiel in sein Lachen ein. Paul legte ohne Mühe
seine beiden Koffer in den Kofferraum der offenen schwarzen Droschke. Der junge
Mann wuchtete Emmas Koffer schwungvoll hinauf, rieb die Handflächen
gegeneinander, als müsse er den Staub der Koffer loswerden, zog dann sein
schwarzes Jackett stramm, nahm Haltung an und streckte Paul die rechte Hand
entgegen. „Albert Keil. Ich heiße Sie im Namen der evangelisch-lutherischen
Kirche Australiens herzlich willkommen!“ Er strahlte voller Stolz. „Vielen
Dank! Wir fühlen uns sehr geehrt“, gab Paul zurück. „Unser Pastor Emig hat ein
kleines Willkommensfest für sie arrangiert. Wir freuen uns wirklich, dass Sie
hier sind! Wir haben überlegt, ob wir Ihnen gleich eine mehrstündige Fahrt ins
Barossa Valley zumuten können.“ „Sie meinen, nach Bethany?“ Paul sprach den
Namen ehrfürchtig aus. Albert Keil nickte. „Bethany hieß damals Neuschlesien,
weil die ersten Siedler aus Schlesien und Polen kamen. Im Barossa Valley gibt
es viele Orte mit deutschen Namen, wie Sie sicher wissen. Wir fahren nach
Tanunda, das liegt direkt neben Bethany.“ Paul legte ihm die Hand auf die
Schulter und lächelte. „Mein Freund, Sie können uns die Fahrt ruhig zumuten.
Wir haben uns auf dem Schiff wochenlang ausgeruht.“ Albert Keil machte eine
einladende Geste in Richtung Droschke. Die beiden braunen Pferde, unbeeindruckt
vom Treiben und dem Lärm um sie herum, standen regungslos da. „Wie lange sind
Sie schon in Australien?“, fragte Paul, die Hand schon am Griff des schwarz
lackierten Chassis, über dem eine dicke gelblich graue Staubschicht lag. „Oh,
ich bin hier geboren!“ Albert Keil nickte, um dieser Tatsache noch mehr
Nachdruck zu verleihen. „Meine Großeltern kamen nach achtzehnhundertachtundvierzig,
nach den Aufständen hierher. Mein
Vater wurde hier geboren. Meine Mutter kam kurz vor meiner Geburt, genau zur
Jahrhundertwende aus Dresden.“ Sein Schulterzucken hatte etwas Bedauerndes. „Aber
ich selbst war noch nie dort. Vielleicht komme ich ja irgendwann mal hin!“ „Sie
sprechen immer noch so gut deutsch“, sagte Emma, und sein Blick wandte sich ihr
zu. „Wir sprechen in der Familie immer deutsch ...“ Er lächelte schüchtern.
„... obwohl wir alle naturalisiert, also eingebürgert sind und den Eid auf den
englischen König geschworen haben. Aber es war nicht leicht in den letzten
Jahren. Wir Deutschstämmigen hatten eben doch nicht dieselben Rechte wie die
britischen Bürger. Wenn einer von uns Aktien besaß, musste er sie an den Staat
abgeben. Wir waren ‚Feindliche Subjekte’, ‚Spione’. Einige haben ihren Besitz
verloren oder wurden in Lager gebracht, nach New South Wales oder nach Torrens
Island.“ Er war ernst geworden, zuckte dann die Schultern und zauberte wieder
ein Lächeln auf sein Gesicht. „Aber der Krieg ist vorbei! Und trotzdem sprechen
wir deutsch. Auch meine Kinder sollen die Sprache
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