Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Wein?“ Bevor Emma entschieden hatte, was sie
antworten sollte, denn noch immer verband sie mit Weintrinken jenen Abend in
der lauen Nachtluft auf der Britannia , sagte Albert Keil: „Sie werden
gleich die Weinberge sehen. Joseph Ernst Seppelt kam aus Dresden schon Mitte
des letzten Jahrhunderts an, sein Sohn betreibt heute ein großes Weingut in der
Nähe von Tanunda. Seppeltsfield. Dann gibt’s noch die Gramps ...“ Er drehte
sich wieder in Fahrtrichtung, und Emma stellte sich vor, wie es wohl damals,
vor sechzig Jahren, gewesen war, als die ersten Pioniere hierher gekommen
waren. Wie einsam und verloren mussten sie sich gefühlt haben. Aber sie hatten
Gott, an den sie glaubten. Solange man ein Ziel hat, kann man vieles ertragen, dachte
sie. Auch sie und Paul hatten ein Ziel ...
Sie fuhren eine ganze
Weile dahin. Das Knarren und Knirschen der Räder auf den Fahrwegen und das
leichte Schaukeln wirkten beruhigend, und Emma fasste allmählich Zutrauen zu
diesem Land. Nur der Gedanke an die große Wüste im Herzen dieses Kontinents
bereitete ihr noch immer Unbehagen. Ein Ort aus Stein-und Fachwerkhäusern mit
einer steinernen Kirche und einem schmalen Kirchturm tauchte vor ihnen auf. Im
Hintergrund erhoben sich Hügel, auf denen sich Weinstöcke in langen Reihen
entlangzogen. „Wir kommen nach Hoffnungsthal“, hörte sie Albert Keil sagen.
„Das erste Dorf wurde von einer großen Flut überspült, und die Menschen haben
alles verloren. Da sind sie ein paar Meilen weiter gezogen und haben ein neues
Dorf aufgebaut.“ Hoffnungsthal, dachte sie, der richtige Name. „Haben hier
früher auch Eingeborene gelebt?“, rief sie gegen das Knarren der Räder auf dem
harten Fahrweg an. Albert Keil warf ihr über die Schulter einen kurzen Blick zu
und nickte. „Hier hat man bis vor dreißig Jahren auch Gold gefunden. Barossa
ist damals ein ziemlich großer Ort geworden. Aber jetzt verdient man besser mit
Wolle, Getreide und Wein!“ „Und was hat man mit ihnen gemacht?“, fragte Emma.
„Mit wem?“ „Mit den Eingeborenen natürlich!“ Albert Keil zögerte. „Verjagt,
ermordet“, antwortete er dann, „versklavt, in Lager gesperrt ... Manche
arbeiten auf den Farmen oder als Dienstmägde und Viehtreiber. Sie werden mit
Essen oder mit Decken bezahlt. Und dann gibt es die Halbblute.“ Er wandte sich
wieder nach vorn. „Was ist mit ihnen, den Halbbluten?“ Emma ließ nicht locker.
Sie wusste doch gar nichts! „Sie werden in Lager gebracht. Dort sollen sie
erzogen werden.“ Davon hatte ihr Paul noch gar nichts gesagt. Sie warf ihm
einen Blick zu, doch er sah nur geradeaus, sein Gesicht ernst und bewegungslos,
als ob er gar nicht zuhörte. „Aber haben sie denn keine Eltern?“, fragte Emma
dennoch weiter. Keil schnalzte mit der Zunge und lenkte die Kutsche weiter nach
links. „Nun, meistens leben sie bei ihren Eingeborenen-Müttern. Die Regierung
nimmt ihnen die Kinder weg, damit sie nicht verwahrlosen“, gab Albert Keil
zurück. Eine tiefe Fahrrinne ließ den Wagen kurz auf der linken Seite
einknicken. Emma hielt sich rasch an der Tür fest. „Aber ... aber wieso verwahrlosen
sie denn bei ihren Müttern?“, fragte sie ungläubig. „ Sie haben noch nicht
gesehen, wie die Eingeborenen leben!“, gab er zurück. „Warum tut man dann nicht
etwas für das Kind und die Mutter?“
Albert Keil schnalzte wieder mit der Zunge und versetzte den Pferden mit der
Peitsche einen scharfen Hieb. „Emma“, schaltete Paul sich ein, „das ist eine
politische Sache. Das ist zu kompliziert.“ Oh, wie sie diese Antwort hasste!
Sie wurde besonders gern von Männern benutzt, die sich noch immer nicht mit dem
Wahlrecht der Frauen abgefunden hatten. Obwohl sie wenig von Politik verstand,
konnte sie sich doch nicht vorstellen, dass die Mütter ihre Kinder freiwillig
hergaben. Albert Keil drehte sich zu ihr um. „Wissen Sie, es geht um die
Ordnung der Rassen. Es gibt Rassen, die haben eine höhere Intelligenz als
andere. Das haben englische Wissenschaftler nachge -“ „Herr Keil“, fiel Paul
ihm scharf ins Wort, „alle Menschen sind Kinder Gottes.“
15
In Tanunda, das seit seiner
Gründung 1843 drei aus Stein erbaute Kirchen mit stattlichen Kirchtürmen,
deutsche Lieder singende Chöre, die sich „Liedertafel“ nannten, eine Schule,
geachtete Handwerker, Bäcker und Möbelschreiner hervorgebracht hatte, hier
hatten sich im Haus des für die Gemeinde zuständigen
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