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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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für die Kranken hatte tun können. In den Jahren nach dem
    Krieg hatten sie viele Fleckfieberfälle gehabt, was ähnliche Symptome
    hervorrief wie die, an denen Sam offensichtlich litt. Aber die durch Läuse
    übertragene Krankheit gab es, soweit Emma wusste, nur in kühleren Breiten.
    „Sam, zeigen Sie mir Ihre Zunge.“ Die fiebrigen Augen des Kranken suchten müde
    Emmas Blick. Langsam öffnete er den Mund. Auf der Zunge war ein dicker grauweißer
    Belag. „War ihr Stuhl
    gelblich?“ Sam schüttelte schwach den Kopf. „Blutig?“ Wieder schüttelte er den
    Kopf, was ihm sehr viel Mühe zu bereiten schien. „Was ist es?“, wollte Paul
    wissen. Emma drehte sich zu den drei Männern um, die sie fragend ansahen. „Ich
    kann es nicht sagen. Offenbar ein Fieber.“ Zu dem Kranken gewandt, fragte sie:
    „Sam, können Sie sich an irgendetwas erinnern, das ihre Krankheit ausgelöst
    haben könnte? Was haben Sie an diesem Tag oder kurz davor gemacht? Wo waren
    Sie?“ Plötzlich flackerten seine Augen panisch auf, zugleich schüttelte er den
    Kopf. „Was ist, Sam? Sagen Sie es!“, ermunterte ihn Emma, die noch immer neben
    der Bank kniete. Er murmelte etwas, doch sie konnte es nicht verstehen. Sie
    beugte sich näher zu ihm. „Was, Sam?“ „Der Knochen ...“ Es war nur noch ein
    Hauchen, was Sam von sich gab. „Der Knochen?“, wiederholte Emma. Sie war sich
    nicht sicher, ob sie richtig verstanden hatte. „Haben Sie Knochen gesagt?“ Ein schwaches Nicken, das Flackern in den Augen
    war verschwunden. Aus ihnen sprach nur noch nacktes Entsetzen. „Was für ein
    Knochen,?“ Sam schüttelte den Kopf, presste die aufgesprungenen Lippen
    aufeinander. „Sam, was für ein Knochen?“ „Was meint er?“, fragte Carl
    Gustavsson, der noch immer die Hand schützend vor seine Nase hielt. Sams Blick
    wandte sich von Emma ab und wurde starr. „Sam!“ Emma klopfte ihm auf die
    Wangen, und sein Blick kehrte zu ihr zurück. „Sam, was für ein Knochen?“ Ihr
    Gesicht war ganz dicht an seinem Mund, säuerlicher Geruch stieg ihr in die
    Nase, er schloss die Augen – und schwieg.
    Emma maß die
    Temperatur, über neununddreißig Grad, machte Umschläge für Waden, Leber und
    Stirn und verabreichte Sam zur Entzündungshemmung zwei Aspirin – neben
    ein paar Tinkturen die einzige Arznei, die sie von zu Hause mitgenommen hatte.
    Mehr konnte sie nicht für ihn tun.
    Eine Weile war es still
    im Waggon. Längst schon hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt und das Tickeditack
    wieder aufgenommen. Draußen zog die ewiggleiche Landschaft vorbei. Auf
    einmal räusperte sich Carl Gustavsson. „Meiner Ansicht nach“, fing er an,
    „könnte ‚Knochen’ auf zwei verschiedene Weisen gedeutet werden.“ Er musterte
    den Kranken, der hin und wieder die Augen öffnete. „So?“ Das war Paul, der den
    Mann mit skeptischem Interesse ansah. „Ja“, sagte Carl Gustavsson überzeugt,
    ohne den Blick von dem Kranken zu nehmen. „Erstens könnte es sich um
    verdorbenes Fleisch von einem Knochen handeln, das er zu sich genommen hat.“ Er
    machte eine Pause und legte den Kopf noch schiefer. „Und zweitens?“ Jetzt
    beteiligte sich auch John an der Unterhaltung. „Zweitens ...“ Carl Gustavsson
    holte Luft und machte wieder eine Pause. „... zweitens könnte es schwarze Magie
    sein. Ich habe mich bei meinen Forschungen in Afrika damit beschäftigt. Ein
    höchst, wirklich höchst interessantes Phänomen. Der ‚Verhexte’ stirbt ganz
    langsam, ohne erkennbare Ursachen. Das sollen die hiesigen Eingeborenen
    praktizieren.“ Ein Schauer überlief Emma. Schon protestierten auch John und
    Paul. „So einen Unsinn habe ich auch schon gehört. Aber es entbehrt doch
    jeglicher wissenschaftlichen Grundlage.“ Das kam von Paul, worauf der Schwede
    leise lachte. „Sicher gibt es solche Praktiken“, sprach Paul weiter, „aber sie
    entfalten ihre Wirkung nur über Suggestion. Wenn ich mir lange genug einrede,
    dass ich sterbenskrank bin, dann werde ich es auch. Und dieser Mann hier“, er
    machte mit dem Kopf eine Bewegung zu dem Kranken hin, „dieser Mann hier ist ein
    Weißer, und er glaubt ganz sicher nicht an diesen Hokuspokus!“ In diesem
    Augenblick wandte Sam den Kopf. Seine Augen waren gerötet und glasig, seine
    Lippen zitterten, ohne dass er ein Wort hervorbrachte. „Sam?“ Emma beugte sich
    zu ihm. „Sam, was wollen Sie uns sagen?“ Sam sah sie kurz an, doch dann rollten
    die Pupillen nach oben. Emma erneuerte die

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