Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Gewändern.
„Es ist aber auch Zeit
geworden“, stöhnte Carl Gustavsson beim Aufstehen und drückte mit
schmerzverzerrtem Gesicht die Hand in den Rücken, „lange hätte ich es nicht
mehr in diesem Zug ausgehalten.“ Für ihn war es selbstverständlich, dass er
nichts mit dem Kranken zu tun hatte und dass er dessen Transport ohne weiteres
Paul und John überließ. „Wir sehen uns im Hotel“, sagte er nur noch und beeilte
sich, als Erster aus dem Abteil zu kommen, während John und Paul sich des
Kranken annahmen, dessen Arme um ihren Hals legten und ihn hinaustrugen. Emma
trug einen Koffer, in den sie die wichtigsten Dinge von sich und Paul gepackt
hatte und folgte ihnen. Das übrige Gepäck ließen sie im Zug. Draußen, auf der
Plattform, wehte ein kalter Wind. Er brachte den Geruch von wilden Tieren mit,
und obwohl Emma noch nie ein echtes Kamel gesehen, geschweige denn gerochen
hatte, wusste sie sofort, dass es nur der Geruch von diesen Tieren sein konnte.
Und da waren auch schon welche; hinter den Turbanträgern lagen sicher acht oder
zehn Kamele im Sand. Neben ihnen stapelten sich Kisten und Sättel. Wie fremd
hier alles war! Sie wäre gern noch ein wenig auf der Plattform des Waggons
stehen geblieben, hätte sich so - aus sicherer Entfernung - eine kurze
Orientierung verschafft, doch Paul und John waren bereits die Leiter hinuntergestiegen,
und wenn sie nicht allein zum Great Northern Hotel gehen wollte, wo sie
übernachten würden, musste sie ihnen jetzt folgen. Also nahm sie ihren schweren
Koffer und stieg die Treppe hinunter. Schon waren Paul und John mit dem kranken
Sam in ihrer Mitte ein paar Schritte voraus. So schnell sie mit dem Koffer
konnte, hastete sie hinter ihnen her.
John und Paul blieben
neben einem Polizisten stehen. Er trug kurze Hosen und weiße Kniestrümpfe und
hielt ein Gewehr mit einem langen Lauf im Arm. Als Emma zu ihnen aufschloss,
hörte sie den Polizisten sagen: „Gleich neben dem Great Northern Hotel.“ Dabei
warf er einen mehr argwöhnischen als besorgten Blick auf den Kranken, der
seinen Kopf erschöpft und kraftlos auf die Brust hatte sinken lassen. „Er hat
doch keine ansteckende Krankheit, oder?“, vergewisserte sich der Polizist.
„Nein“, antwortete Emma, obwohl der Polizist nicht sie, sondern Paul
angesprochen hatte. „Er hat Fieber und braucht unbedingt einen Arzt.“ Der
Polizist, der sie erst jetzt neben den beiden Männern zu bemerken schien,
musterte sie von oben bis unten, dann wandte er sich Paul zu und zeigte, ohne
sich umzudrehen, mit dem Daumen über die Schulter. „Der Blechschuppen da
hinten.“
Erst jetzt, als sie an ihm
vorbeigingen, bemerkte Emma, dass der Polizist eine Gruppe von Eingeborenen
bewachte. Sie saßen links von ihm im Staub. Sie waren fast nackt. Und dann sah
sie die schweren Eisenmanschetten, die ihnen um den Hals gelegt worden waren.
Mit Ketten waren sie aneinander gebunden. Mein Gott, dachte Emma, warum tut man
ihnen das an? Die Männer, hatten den Blick gesenkt, doch auf einmal hob einer
von ihnen den Kopf, und Emma, beschämt über ihr eigenes Starren, wandte sich
schnell ab und beeilte sich, zu Paul und John aufzuschließen. Sams Füße, die in
schmutzigen, groben Schuhen steckten, schleiften im Sand und hinterließen
Spuren, als wären zwei Schlangen dort entlanggekrochen.
Der kalte Wind wurde
nicht schwächer. Er fand kaum einen Widerstand, blies über die Ebene, beugte
die Zweige der niedrigen Büsche und dürren Bäume. Er pfiff durch die Spalten
der Behausungen, ließ Bleche klappern und fegte ausgerissene dürre Büsche über
die rötlich gelbe Erde. Emma hielt sich dichter an Paul. Obwohl ihr die
Dunkelheit selten Angst bereitet hatte – als Kind vielleicht, wenn ein
schlimmer Traum sie mitten in der Nacht weckte –, fühlte sie sich hier
beklommen. War es der fremde Ort, so weit schon im Innern dieses unbekannten
Kontinents, oder war es der fremde Geruch der Kamele? Und sie stanken ganz fürchterlich,
nicht so wie Pferde, nein, strenger, wilder.
Wie groß ihre Körper
sind, obwohl sie im Sand liegen! Und dennoch halten sie ihr Haupt aufrecht. Und
wie aufrecht!, dachte sie. Ganz anders als die meisten Pferde, die sie an
den Bahnhöfen gesehen hatte, durch
sie gefahren waren. Die ließen ihren Kopf hängen: erschöpft und gedemütigt.
Doch die Kamele behielten ihre majestätische Haltung und Würde! Im Vorbeigehen
sah sie acht Kamele, die hintereinander an
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