Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
sommersprossiges
Gesicht, als habe er plötzlich Zahnschmerzen. „Ein wenig, sicher. Aber ...“, er
sah John Wittling an, der wie schon am Tag zuvor mit übereinandergeschlagenen
Beinen die Bibel in Aranda-Sprache studierte, „... wir haben die Aufgabe,
Gottes Wort zu verbreiten und nicht die Zauberei der Medizinmänner zu
erforschen.“ „Da haben Sie sicherlich Recht, Herr Pastor. Allerdings: Ich
denke, Sie werden meiner Feststellung zustimmen, dass Sie Ihren Gegner kennen
müssen, wenn Sie gegen ihn kämpfen wollen.“ Der Schwede lächelte. „Das ist es
doch, was Sie wollen, Herr Pastor, oder? Ihnen die Überlegenheit des
christlichen Glaubens gegenüber ihrer Naturreligion beweisen!“ Paul antwortete
nicht gleich. Er betrachtete den Schweden wie einen seltsamen Gegenstand, sah
dann an Emma vorbei zum Fenster hinaus. Die Berge waren jetzt spärlich
bewaldet, Büsche wuchsen wie Nadelkissen auf der gelblichen steinigen Erde.
„Ja“, sagte er schließlich, als er Gustavsson wieder ansah. „Sie haben Recht.“
Gustavsson nickte befriedigt, drehte sich zum Fenster und strich über seinen
Schnurrbart. „Alles ist Schwingung“, sagte er schließlich, während er versonnen
die vorüberziehende Landschaft betrachtete. „Alles schwingt, nur die Frequenzen
sind unterschiedlich.“ Er sah zu Paul, der
nichts darauf erwiderte. „Unsere Gedanken sind Schwingung, und unsere
Körper auch“, redete Gustavsson weiter. „Mit unseren bescheidenen Sinnesorganen
- mein Gott, verglichen mit einem Hund oder einer Katze oder gar einem Vogel,
sind wir blind und taub! – nehmen wir nur ganz bestimmte Schwingungen
wahr. Wir sehen ja auch nur bestimmte Farben, hören nur bestimmte Töne.
Trotzdem existieren auch andere Farben, andere Töne – warum sollte es
keine andere Wesen geben? Geister unserer Ahnen? Sie schwingen lediglich in
einer anderen Frequenz als wir.“ Er zwirbelte an den Enden seines Schnurrbarts.
„Medizinmänner können die Schwingungen ihrer Gedanken so verändern, dass sie
sich an die Frequenz anderer Geistwesen anpassen, und so können sie Kontakt zu
ihnen aufnehmen. Wussten Sie das, Herr Pastor?“ Paul zuckte kurz die Schultern.
Über sein Gesicht zog sich ein müdes Lächeln. „Etwas Ähnliches haben die
Mystiker erfahren. Nur, dass es da um Gott geht. Doch wozu brauchen wir das
alles? Wir haben das Wort Gottes. Die Bibel. Da steht das Geheimnis drin! Wir
brauchen keinen Hokuspokus!“ Der schwedische Gelehrte lächelte hintergründig
und zupfte vergnügt an seinem Schnurbart. „Sehen Sie, Herr Pastor, das
unterscheidet uns. Ich bin Wissenschaftler, ich bin neugierig und sage niemals:
Das brauchen wir nicht.“ Doch Paul gab sich nicht so leicht geschlagen. Auch er
lächelte. „Und wohin, verehrter Herr Gelehrter, hat uns Ihre Neugier gebracht?
Wir haben wunderbar schreckliche Waffen erfunden: Giftgase, Bomben, Torpedos,
die Millionen von Menschenleben
ausgelöscht haben. Hielten wir uns an Gottes Wort, hätten wir die Waffen gar
nicht erfinden dürfen!“ „Ha! Der Mensch ist in dieser Hinsicht eben noch wie
ein Kind! Alles, was er machen kann, das macht er auch. Er muss sich immer
weiter entwickeln, ausprobieren und dann selbst entscheiden.“ „Nein, nein, er
muss zu Gott finden.“ „Er muss lernen, mit seiner Freiheit umzugehen, und er
muss es aufgeben, anderen seinen Willen aufzuzwingen. Kurz: Er muss endlich die
Freiheit des anderen respektieren!“ „Wir zwingen niemandem unseren Willen auf,
wenn Sie auf die Missionierung der Kirche anspielen, Herr Gustavsson.“ „Nein?
Überall, wo ich war, in Afrika, in Grönland, und auch hier, verbieten die
Missionare den Eingeborenen, ihre Traditionen weiter zu leben.“ „Wenn sie Christen
werden, brauchen sie diese heidnischen Traditionen nicht mehr. Sie beten doch
auch nicht den Teufel an, wenn Sie sich für Gott entschieden haben, oder?“
„Ach, Herr Pastor ...Dass ihr Leute von der Kirche immer gleich mit dem Teufel
daher kommen müsst!“ Der Schwede schüttelte den Kopf und verzog den Mund zu
einem spöttischen Lächeln. „Die Regenbogenschlange ist kein Teufel; Tya, die
Erde, ebenso wenig; auch Baiame, der Schöpfergott, nicht oder Bunbulama, der
Regenmachergeist ...“ „Herr Gustavsson“, unterbrach ihn Paul ungehalten, „Sie
verharmlosen die ganze Angelegenheit, dabei geht es Ihnen, mit Verlaub, doch
nur darum, den Status quo zu erhalten, damit Sie die Wilden mit
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