Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Umschläge und nahm seinen Puls, der
unverändert hart und langsam ging. Verzweifelt suchte sie nach
Krankheitsbildern, aber ohne genauere Untersuchungen, die sie hier nicht
vornehmen konnte, war sie ratlos. Sie wollte sich schon wieder auf die Bank
zurücksetzen, als Sam sich zu ihr drehte und ihr in die Augen sah. „Was wollen
Sie mir sagen, Sam?“ Seine Lippen und seine Augenlider zitterten. „Was sagt
er?“ Gustavsson beugte sich zu Emma hinunter. „Ich weiß nicht.“ Sam öffnete die
Lippen. „Der Knochen“, stieß er kaum hörbar hervor, „bitte ...“ Emma beugte
sich noch näher zu ihm. „Ja?“ Ein Aufflackern zuckte durch seinen Blick, die
Lippen bebten kurz, dann verdrehten sich die Augen, und er wurde ohnmächtig.
Carl Gustavsson stöhnte enttäuscht auf. John und Paul starrten noch immer
gebannt auf den Kranken, während Emma versuchte, Sam aus seiner Ohnmacht zu
holen. Er atmete tief, und so nahm sie an, dass er schlief. Sie konnte nur
hoffen, dass sie rechtzeitig in Marree ankamen und der dortige Arzt die
Krankheit, was immer es auch war, behandeln konnte. Der Schwede zwirbelte
nachdenklich seinen blonden Schnurrbart und sah, zum Fenster hinaus auf ein
weites, gebirgiges Land, das die Eisenbahnschienen durchschnitten. Tickeditacktickeditack
- John und Paul waren inzwischen eingenickt.
„Marree hat eine sehr
interessante Geschichte“, sagte Carl Gustavsson auf einmal. Emma war sich nicht
sicher, ob er sich an sie wandte oder einfach nur mit sich selbst sprach.
„Dieser Ort wurde auf einer Expedition von John McDouall Stuart entdeckt.“
Diesmal sah er sie tatsächlich an, und sie bemerkte, dass er wässrige blaue
Augen hatte. „Sie wissen schon, derjenige, der den Kontinent von Süden nach
Norden durchquert hat.“ Ja, Emma erinnerte sich. „Auf dieser Expedition haben
seine Leute sieben artesische Quellen entdeckt, die Orte wurden nach deren
Namen benannt.“ Der Schwede sah verträumt nach draußen, auf seinen Zügen lag
ein merkwürdiges Lächeln. „Joseph Albert Herrgott war ein deutscher Botaniker,
und Stuart taufte den Ort Hergott Springs. Die Quelle wurde zum staatlichen
Wasserreservoir erklärt. Viehzüchter kamen, und beim Bau der Overland Telegraph
Line wurde Hergott Springs zu einem Hauptunterstützungslager. Im Jahre 1883 hat
man den Ort dann offiziell Marree getauft. Inoffiziell hieß er weiterhin
Hergott Springs, bis zum Krieg, da hat man ihn endgültig Marree genannt. Wissen
Sie, was Marree heißt?“ Er wandte seinen Blick wieder Emma zu. Sie schüttelte
den Kopf. „Es kommt vom
Aborigine-Wort Mari . Viele Oppossums .“ Sein Gesicht verzog
sich zu einem spöttischen Lächeln. „Mal sehen, was wir heute Abend zum Essen
vorgesetzt bekommen.“ Emma konnte seine Art von Humor nicht teilen und nickte
nur höflich.
Der Zug hielt an einigen
weiteren Stationen. In Leigh Creek, hieß es, würden auf dem Rückweg Tonnen von
Braunkohle mitgenommen, und als Emma aus dem Fenster sah, konnte sie eine
Gruppe von Männern mit rußgeschwärzten Gesichtern und in schmutzigen
Arbeitskleidern erkennen, die sich voneinander verabschiedeten. Sie passierten
weitere Orte, an denen sie jeweils anhielten, Gepäck und auch den einen oder
anderen Reisenden mitnahmen. Parachilna, Copley, Beltana und Farina. Der nächste Halt wäre Marree –
die Endstation für den heutigen Tag. „Wir sehen nur, was wir kennen“, murmelte
Carl Gustavsson nachdenklich und zwirbelte seinen Schnurrbart.
7
Die Sonne stand schon
tief am Horizont, als die Lok ihre schrillen Pfiffe ausstieß. Bald darauf gaben
die Maschinen nur noch ein erschöpftes Schnaufen von sich, dann folgte ein
letzter Ruck, und der Zug stand. Erleichtert atmete Emma auf. Sams Zustand
hatte sich nicht verändert. Sein Puls ging hart und langsam, seine Stirn fühlte
sich heiß an, war jedoch nicht mehr so feucht wie noch vor Stunden. Er hatte
nichts mehr gesagt, nur noch hin und wieder mit den Lippen stumme Laute
geformt. Durch das Fenster erkannte Emma hinter einem flachen Gebäude aus
rötlichen Steinen die Schatten verstreut liegender Häuser. Dunkelhäutige Männer
in zerbeulten Hosen und Jacken eilten zu den Leitern der Waggons, um Gepäck zu
tragen oder Güter abzuladen. Weiter rechts bemerkte Emma vier in lange Gewänder
gehüllte Männer mit einem Turban auf dem Kopf. Sie gestikulierten heftig und
zeigten zu einem der hinteren Waggons. Der Wind zerrte an ihren
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