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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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einem Seil, das ihnen durch die Nase
    gezogen war, aneinander gebunden waren – fast so wie die Eingeborenen,
    dachte sie. Sie waren mit großen leintuchbespannten Holzkisten beladen. Zwei
    Kamele trugen mannsgroße Säcke. Bedächtig drehte das zweite Kamel von vorne
    seinen kräftigen langen Hals zu ihr und malmte gelangweilt und – so fand
    Emma – hochmütig mit den Kiefern. Ein paar Männer, wahrscheinlich die so
    genannten Afghans , schätzte Emma, da
    sie Turbane und lange Gewänder trugen, machten sich an den Lasten der Kamele zu
    schaffen. Dabei riefen sie sich roh klingende Worte in einer fremden Sprache zu
    – doch als Emma neben Paul an ihnen vorbeiging, hörten sie auf und
    starrten sie an. Emma erschauerte, hielt sich an Pauls Seite. Schnell wandte
    Emma ihren Blick von den kohlrabenschwarzen Augen in den scharf geschnittenen
    Gesichtern ab. Da begriff sie, dass weiße Frauen hier eine Seltenheit waren.
    Ihr war auf dem Weg vom Zug bis hierher noch keine weiße Frau begegnet. Außer
    Alma und Linda schien sie die Einzige hier zu sein! Und schwarze Frauen?
    Seltsam, sie hatte auch keine Frauen gesehen, die zu den Männern mit den
    Turbanen zu passen schienen. Und wo waren – wie hatte Alma sie genannt?
    – die Lubras, die Eingeborenen-Frauen? Obwohl sie nicht wusste, woher
    dieses Wort stammte, glaubte sie, dass es etwas Abwertendes bedeutete.
    Sie stolperte mit dem
    schweren Koffer hinter Paul her. Was wäre, wenn sie jetzt hinfiele und Paul und
    John mit der Last ihres Kranken einfach weitergingen? Das wollte sie sich jetzt
    nicht ausmalen, obwohl sie diesen Männern mit ihren Turbanen und Kamelen
    vielleicht Unrecht tat. Immerhin – sie wusste, diese Männer mit ihren
    Kamelen waren lebensnotwendig. Sie waren es, die die Menschen und die von den
    Zügen abgeladenen Güter weiter hinein in diesen riesigen Kontinent beförderten.
    Sie übernahmen die Versorgung der abgelegenen Stations, der Viehfarmen, mit
    allem, was man zum Leben brauchte: Kleider, Tonnen von Mehl, Zucker, Salz,
    Schuhe, Waffen, Möbel, Stoffe, Kämme, Parfüm, Seife, Rasierzeug, Werkzeug,
    Medikamente, Handtücher, Taschentücher, Scheren, Nähzeug. Man gab eine
    Bestellung auf und konnte erst Monate oder sogar ein Jahr später die lang
    ersehnten Waren erhalten. Und die Post – die übernahmen sie auch.
    Dennoch, sie atmete auf,
    als sie endlich vor der Tür des einfachen Blechschuppens standen. Neben der halb geöffneten Tür
    hing ein Schild, auf dem in großen schwarzen Lettern stand: Heute ist Dr. J.
    Brown da.

    Emma folgte den drei
    Männern in einen Raum, der durch Vorhänge in verschiedene Kabinen unterteilt
    war. Sie hörte Stimmen und das typische metallene Klappern von Instrumenten,
    die auf Tabletts abgelegt wurden, und der bekannte Geruch von
    Desinfektionsmitteln drang ihr in die Nase und reizte die Schleimhäute. Das
    alles erfüllte sie mit dem beruhigenden Gefühl, doch einen Teil der bekannten
    Zivilisation hier anzutreffen. Das angenehme Gefühl wurde aber gleich wieder
    getrübt, denn der Arzt, der einen der Vorhänge zur Seite riss, machte ein nicht
    gerade freundliches Gesicht. Er mochte Anfang vierzig sein, schätzte Emma, er
    war rundlich und klein, sein farbloses Haar war militärisch kurz geschnitten
    und klebte an seinem Kopf. Nicht nur sein Haar, auch sein Gesicht war farblos
    – teigig und farblos, stellte Emma fest. Der Mann war ihr unsympathisch.
    Ohne sich vorzustellen,
    warf er den Kranken einen Blick zu und wandte sich dann an Paul: „Was hat er?“
    „Er scheint Fieber zu haben, und er sagt etwas von einem Knochen“, antwortete
    Paul. Der Arzt verstand sein Englisch wohl nicht sofort, denn er verzog das
    Gesicht. Darauf wiederholte John Pauls Antwort. Der Arzt hob die Brauen.
    „Knochen? Hab’ ich richtig verstanden?“ John nickte. „Ja, Knochen.“ Dr. Brown
    beugte den Kopf, sodass sein Kinn fast die Brust berührte, stemmte die Arme in
    die Hüften und ließ seinen abschätzenden Blick langsam über Sam wandern. Aus dem
    Nebenzimmer konnte Emma ein Stöhnen und eine resolute Frauenstimme hören. „Nun,
    Sie können von Glück reden, dass ich heute hier bin, sonst hätten Sie ihn bis
    Oodnadatta bringen müssen“, sagte Dr. Brown. „Schaffen Sie ihn hinter den
    zweiten Vorhang von rechts. Ich hoffe nicht, dass er eine ansteckende Krankheit
    hat.“ Emma wollte schon den Mund öffnen und ihn über die Fragen unterrichten,
    die sie dem Kranken im Zug gestellt hatte, doch

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