Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Ihre Stimme genauso wie meine.“
Emma hörte nicht mehr
zu, sondern drehte sich zur Wand, um das Bild von Hermann und Margarete Weiß
noch einmal zu betrachten. Diesmal fielen ihr die daneben hängenden Fotos auf:
Aufnahmen von Kamelen, von Kameltreibern, Männern mit Schaufeln und Pickeln,
stolzen Eingeborenen mit Speeren und bemalten Körpern ... In diesem Augenblick
erinnerte sie sich an ihren Traum in Tanunda. Wie seltsam, sie hatte doch
keines dieser Fotos vorher zu Gesicht bekommen, sie kannte sie doch gar nicht,
wie war es dann möglich, dass dieses eine geradewegs aus ihrem Traum
herausgeschnitten schien? Gordon las
sie in der rechten unteren Ecke des Fotos.
„Oh, die Fotos sind gut,
nicht?“, rief Mrs. Warton von der Theke herüber. „Mister Gordon wollte
eigentlich schon gestern hier sein. Er ist Fotograf und reist durchs Land -
schade, beinahe hätten Sie ihn kennen gelernt. Er muss aufgehalten worden
sein.“ Langsam kam Paul näher, fand das Foto seines Vorgängers sofort, starrte
es kurz an und wandte sich dann so abrupt ab, als habe ihn etwas erschreckt.
„Wir müssen los“, sagte er, mit den Koffern schon fast an der Tür, „Ich will
noch bei Dr. Brown vorbeisehen.“ Emma warf Mrs. Warton ein Lächeln zu und
bemerkte, dass diese sie mit einem seltsamen Blick bedachte, als wolle sie Emma
zurückhalten oder warnen. Doch wahrscheinlich bildete sie sich das auch nur
ein. Mrs. Warton konnte ja nicht wissen, was letzte Nacht geschehen war, und
sie wusste auch nichts von dem Brief, den Paul in seinem Koffer vor Emma
verbarg.
Der Himmel war hellblau
und wolkenlos, die Sonne schien und wärmte die Luft. Emmas Körper, der in der
Nacht so kalt und steif gewesen war, nahm die Wärme gierig auf und allmählich
entspannte er sich. Vielleicht, dachte sie, ist es nur die fremde Umgebung, die
mich so verstört. Im Ort hatte der Tag schon längst begonnen. Gleich vor dem
Hotel lagen mindestens zwanzig Kamele im Sand. Zwei Drittel von ihnen trugen
schwere Lasten, die anderen nur Sättel. Dunkelhäutige Kameltreiber mit ihren
Turbanen und Gewändern waren damit beschäftigt, weitere Kisten auf den Rücken
der Tiere zu schnallen oder Sättel festzuzurren. Die Gruppe der Männer, die
gestern an der Rezeption gestanden hatte, war in ein intensives Gespräch
vertieft. „Herr Pastor!“ Carl Gustavsson winkte zu ihnen herüber. „Auf
Wiedersehen!“ Paul grüßte zurück und wünschte ihm und der Expedition alles
Gute. Sie eilten weiter, vorbei an der Metzgerei, die Emma gestern gar nicht
aufgefallen war. Breitbeinig, mit seinen mächtigen, vor der Brust verschränkten
Armen stand der Metzger vor der Tür,
ein Mann mit eckigem, fast kahlem Schädel, aber buschigen Augenbrauen und
ebensolchem Schnauzer. Um einen Kunden einzulassen, müsste er zur Seite treten,
und zweifelsohne, dachte Emma bei seinem Anblick, würde er nicht jeden
einlassen. Mit vorgeschobenem Unterkiefer und unverhohlener Geringschätzung in
seinen schmalen Augen musterte er Emma. Das Blut auf seiner Schürze, die sich
über seinem Bauch wölbte, war hell und frisch.
Sie beeilte sich, mit
Paul Schritt zu halten. Wie froh sie war, heute von hier wegzukommen. Der
Krankenhaus-Schuppen lag noch im Schatten, nur die obere Spitze des Dachs
blitzte im Morgenlicht. Wieder empfing sie der bekannte Geruch nach
Desinfektionsmitteln. Einer der Vorhänge blähte sich, und gleich darauf kam Dr.
Brown dahinter hervor und sah erst Paul, dann Emma überrascht an. „So früh?“
„Aber, Herr Doktor. Sie sind ja wohl schon viel früher auf“, erwiderte Paul gut
gelaunt und setzte die Koffer ab. „Nun, da haben Sie Recht“, brummte Dr. Brown
und fuhr sich durch sein kurzes Haar. Seine Haut war stumpf und sein Kittel
zerknittert. Er hatte ganz sicher nur wenige Stunden auf einem unbequemen
Feldbett geschlafen. „Sie wollen nach unserem Patienten sehen, nicht wahr?“
Paul nickte. „Unser Beten hat geholfen, wie ich gehört habe.“ Dr. Browns sah
plötzlich aus als habe er in eine saure Zitrone gebissen und wies zum linken
Vorhang hin. Diesmal hatte er nichts einzuwenden, als Emma Paul folgte. Sam lag
auf dem Rücken in dem schmalen, aber sauberen Bett und lächelte sie an, als sie
den Vorhang zurückschoben und seine Kabine betraten. Sein Gesicht war zwar noch
immer gerötet, fleckig und unrasiert, doch seine Augen hatten ihren fiebrigen
Glanz verloren. „Hallo, Pastor!“, begrüßte er Paul und
Weitere Kostenlose Bücher