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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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lag nur noch wenige hundert Meter entfernt, und ihr Zug,
    die schwarze Lok mit der langen Kette von Waggons, wartete dort auf sie. Gleich
    würden sie einsteigen und diesen Ort verlassen. Fast war sie erstaunt, dass die
    Polizisten und die gefangenen Eingeborenen nicht mehr da waren, aber wozu
    hätten sie die ganze Nacht hier sitzen sollen? Dann entdeckte sie sie doch auf
    einem offenen Pritschenwaggon. Die Eingeborenen waren an die Latten gekettet.
    Zwei von ihnen standen, die übrigen hockten wohl auf dem Boden, denn nur ihr
    schwarzes Haar war zu erkennen.
    „Emma“, rief Paul; sie
    war zwei Schritte hinter ihn zurückgefallen. „ Nun komm endlich, wir sind
    sowieso schon die Letzten.“ Was macht man mit ihnen?, fragte sie sich beklommen
    und stieg nur widerwillig hinter Paul die Stufen zur Plattform hinauf. Dort
    drehte sie sich noch einmal um. Einer der gefangenen Eingeborenen sah ihr
    direkt in die Augen. Aus dem Blick sprach nicht die Ablehnung des Metzgers,
    nicht die Verachtung des Arztes, nicht die Triebhaftigkeit des Wirts ... Was
    war es dann, was ihr einen solchen Schauer über den Körper jagte, dass sie sich
    wie betäubt fühlte, dass sie nicht mehr Herr ihrer Gedanken und ihres Körpers
    war? Sie stand einfach da und starrte in dieses Gesicht, das etwa zwanzig Meter
    von ihr entfernt war, so weit, dass sie die Augen nicht genau erkennen konnte,
    doch das Merkwürdige war, dass sie sich davon dennoch wie gebannt fühlte ...
    Wenn Paul nicht
    ungeduldig ihren Namen gerufen hätte, hätte sie dort oben auf der Plattform des
    Waggons alles um sich herum vergessen. Sie bemerkte, dass sie den Bartletts im
    Weg stand, die hinter ihr die Stufen heraufkamen. Hastig eine Entschuldigung
    murmelnd, flüchtete sie in den geschlossenen Wagen. Schweigend und John Wittling
    nur zunickend, der schon seinen Platz am Fenster eingenommen hatte, setzte sie
    sich neben Paul und wandte sich zum offenen Fenster. Warum hatte sie der Blick
    des Eingeborenen so verwirrt? Fühlte sie sich als Angehörige der weißen Rasse
    schuldig am Schicksal der Eingeborenen? Oder war es die Angst vor dem
    Fremdartigen? In der Sonne, hinter dem Bahnhof, leuchtete der Blechschuppen von
    Dr. Brown auf.
    Sie drehte sich zu Paul
    um, der jedoch schon wieder in seine Lektüre vertieft war. Hatte er die
    gefangenen Eingeborenen denn nicht bemerkt? Sie spürte, wie der Widerstand, den
    sie letzte Nacht im Bett neben ihm empfunden hatte, stärker wurde. Sie setzte
    sich aufrecht hin, faltete die Hände im Schoß und blickte darauf hinunter. Wie
    erholt sie aussehen, dachte sie, sie hatte nicht kochen, nicht putzen müssen,
    nur hin und wieder hatte sie ihre und Pauls Kleider ausgewaschen. Vielleicht
    war es die Arbeit, die Beschäftigung mit einer wichtigen Aufgabe, die ihr
    fehlte?
    Die Lok stieß ihre
    schrillen Pfiffe aus, schnaufte, ächzte, und dann setzte sich der Zug in
    Bewegung. Das Bahnhofsgebäude ruckte an ihnen vorbei; ein paar Männer auf dem
    Bahnsteig hoben die Hand. Emma wusste nicht, wen sie grüßten oder von wem sie
    sich verabschiedeten. Weiter entfernt von den Häusern, an denen sie eben
    vorübergegangen waren, konnte sie die Hütten und Kamele der Afghanen entdecken.
    Und noch weiter entfernt standen die primitiven Eingeborenen-Hütten aus Ästen
    und Rinden. Da, eine ganze Schar schwarzer Kinder lief auf den Zug zu. Wie ärmlich
    sie gekleidet waren! Wenn sie überhaupt Kleider trugen. Da waren auch Kinder
    von den Afghanen in weißen Pluderhosen, mit kleinen Turbanen. Emma winkte ihnen
    , doch sie musste erstaunt erkennen, dass das Gejohle nicht ihr galt, sondern
    einem Automobil mit einer Plane über der Ladefläche. Cinema stand in
    weißen geschwungenen Lettern auf der roten Tür. Der Fahrer war ein Mann mit
    dunklem Haar und einem vom Wetter und von der Sonne gegerbten, energischen
    Gesicht, der um den Hals ein rotes Tuch gebunden hatte. Als der Zug vorbeifuhr,
    begegneten sich ihre Blicke. Sie sah diesem fremden Mann nach, bis der Wagen
    aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Plötzlich fühlte sie sich ohne jede
    Hoffnung, als habe sie alles, was ihr und zu ihr gehörte, für immer verloren.
    Verstreut lag es auf ihrem Weg durch dieses uralte Land; der Wind würde Sand
    darüber wehen ... und alle Spuren
    der Emma Reimann verwischen. Sie drehte sich um, weil sie das Gefühl hatte,
    angestarrt zu werden. Doch Paul und John waren in ihre Bücher vertieft.
    Den restlichen Tag
    – immerhin mehr als zehn Stunden -

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