Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Mann verlieren würde. Sie nahm den Kamm
und steckte ihn in Tasche ihres Kleids. Sie würde jetzt besser auf ihn
aufpassen. Doch noch immer war ihr nicht klar, wieso er plötzlich da vor ihr im
Sand gelegen hatte. Vielleicht, dachte sie, ist er mir ja auch nur aus den
Decken herausgefallen? Sie beschloss, nicht weiter darüber nachzugrübeln, auch
den gestrigen Vorfall nicht weiter zu beachten, und sah hinüber zum Lager.
John und Paul waren
schon aufgestanden. Nur ihre Decken lagen noch da. Suchend ließ sie ihren Blick
über die Wasserstelle und das Gelände gleiten. Ungefähr einen halben Kilometer
entfernt, schätzte sie, konnte sie zwei Kamele und zwei menschliche Gestalten
ausmachen. Eine von ihnen trug ganz sicher einen Turban. Das musste Hassan
sein. Außerdem erkannte sie den Hund neben ihm. Plötzlich hörte sie ein
Geräusch aus der Richtung, wo die Wagen standen. Sie legte die Decke, unter der sie
geschlafen hatte, über ihre Schultern, weil sie fröstelte. „Paul? John?“
Sie musste noch einmal
rufen, bis Paul mit hochgekrempelten Hemdsärmeln hinter dem größeren der beiden
beladenen Wagen hervortrat. Er wischte sich mit einem Lumpen die
ölverschmierten Hände ab. Er kann mit Tieren umgehen und Maschinen reparieren,
kennt sich mit Pflanzen aus und kann einfache Möbel schreinern. Einen besseren
Mann für eine abgelegene Missionsstation hätten sie schwerlich finden können,
dachte Emma. Ihr gemeinsames Leben könnte so reich sein ... Es geht nicht um
dich, wies sie sich zurecht.
Er war verschwitzt. Sein
Haar, das unter dem Hut hervorsah, war wirr, und seine Haut war gerötet. „Ich
hab’ lange geschlafen, ich muss wohl ziemlich müde gewesen sein.“ Sie rang sich
ein tapferes Lächeln ab. Keinesfalls wollte sie ihm anvertrauen, dass sie sich
schwach und krank fühlte. Er nickte und wischte sich mit dem Handgelenk über
die Stirn. „Du musst mehr essen.“ Er warf den Lappen über eine der Kisten und
sah sie mit einem prüfenden Blick an. Bevor er sie vielleicht fragen würde, ob
sie krank sei, hielt sie den Kamm in ihrer Hand hoch. „Hast du mir den
hingelegt?“ „Einen Kamm?“ Er legte die Stirn in Falten und schüttelte den Kopf.
„Wie kommst du auf so etwas?“ „Ach, nichts“, sagte sie rasch und lächelte. Na
und, was spielt es für eine Rolle, wer mir den Kamm dorthin gelegt hat.
Vielleicht bin ich es sogar selbst gewesen und erinnere mich nicht mehr daran.
Ich sollte mich wirklich mit wichtigeren Dingen beschäftigen! Noch immer
musterte er sie. „Es ist doch alles in Ordnung, oder?“ „Aber natürlich! Ich
wollte...“ Sie blieb in ihren Ausflüchten stecken. „Paul?“ Was wollte sie ihm
sagen? Dass Hassan sie nackt gesehen hatte? „Ach, nichts.“ Er zögerte, nickte
dann und sah an ihr vorbei in die Ferne. „Wir brechen bald auf.“
Sie sah ihm nach, wie er
zur Wasserstelle ging. Liebte er sie eigentlich noch? Und sie , liebte sie ihn noch?
Etwas stand zwischen ihnen, und es hatte mit dem Brief zu tun. Ihr war, als
nähme ihr dieses Etwas immer mehr von ihrer Lebenskraft. Sie ließ ihren Blick
langsam über die Ebene schweifen. Schon wieder befiel sie das Gefühl,
beobachtet zu werden. Aber da waren nur Büsche und ein paar Bäume und in der
Ferne eine Hügelkette und ein weißer Felsen. Du bildest dir alles nur ein,
redete sie sich ein, als ihr plötzlich übel wurde, der Boden unter ihren Füßen
zu wanken begann und ihre Knie nachgaben. Sie wollte sich festhalten, doch da
war nichts. Sie zwang sich, tief ein-und auszuatmen, ihr Herz begann zu rasen
und zu stolpern. Was war nur mit ihr los? Ihr Körper wurde schwerelos, und
einen Augenblick lang fühlte sie sich erleichtert, denn endlich hörten alle
Schmerzen auf, alles entspannte sich ... Doch dann sah sie den Kamm vor sich.
Der Kamm ... die Spitzhacke ... der Knochen ... der Knochen ...
„Emma!“ Sie spürte
einen Klaps auf der Wange und schlug die Augen auf. Paul hielt sie in den
Armen. Sein Gesicht war über sie gebeugt. Lag da nicht Enttäuschung in seinem
Blick? „Es ist schon wieder gut“, beeilte sie sich zu versichern und wollte
sich aus seinen Armen befreien, doch er hielt sie weiterhin fest. Merkte er
denn nicht, dass sie aufstehen wollte? „Bist du krank?“, fragte er, und in
seiner Stimme lag jene Enttäuschung, die sie auch in seinem Blick bemerkt
hatte. „Nein.“ Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf, und er ließ sie endlich
los. Sie
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