Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
dem Boot
steigen und wie er, Jesus, über den See wandelt. Und Petrus steigt wirklich aus
und geht über das Wasser. Aber als ein leichter Windhauch aufkommt, wird Petrus
von Angst erfüllt – und er geht unter. Und Jesus sagt: Du Kleingläubiger,
warum hast du gezweifelt?“ John antwortete nicht, er starrte Paul, der ein
triumphierendes Lächeln aufgesetzt hatte, unbeeindruckt an. Emma hatte den
Wortwechsel mitbekommen und fühlte sich beklommen. „Wissen Sie, John“, sprach
Paul weiter und sah wieder zu den Bergen, „Sie vergessen manchmal, dass wir von
Gott gerufen wurden. Durch seine Kraft werden wir unüberwindbar scheinende
Hindernisse meistern.“ Er nickte zufrieden, als stimme er sich selbst zu, dann
fügte er leise hinzu: „Das genau ist Glaube.“
Emma sah, wie John eine
Entgegnung hinunterschluckte. Wortlos schüttete er den Rest Tee in den Sand und
ging zu den Pferden. Paul warf Emma einen triumphierenden Blick zu und ging dann
auch. Emma räumte das Geschirr zusammen und verstaute es in der Proviantkiste.
Als John diese auf den Wagen hob, fing sie seinen Blick auf. Doch sie konnte
ihn nicht deuten. Vielleicht wollte er sich vergewissern, dass sie seine
Bedenken nicht feige und zögerlich fand. Aber das Einzige, was sie ihm
mitteilen konnte, war, dass es ihr Leid tat, wie er von Paul behandelt wurde
... und dass sie sich für Paul schämte.
5
Es war schon Abend, als
sie endlich die Wasserstelle erreichten. Emma ließ sich vom Pferd gleiten,
einer braunen, nicht mehr jungen Stute, die sich die letzten Kilometer mit
hängendem Hals gequält hatte. Emmas Kehle war ausgetrocknet, ihr Körper eine
einzige Wunde, und ihre Stirn fühlte sich glühend heiß an. Ich bin nicht krank,
hämmerte sie sich ein, reiß dich zusammen! Wie üblich füllten Paul und John die
acht Wasserkanister auf, während Hassan mit dem Abladen der Kamele begann.
Hassan schienen die Anstrengungen nicht das Geringste anzuhaben. Nie standen
Schweißperlen auf seiner Stirn; schweigsam und unbeirrt führte er Tag für Tag
den Treck durch die Wüste.
Emma sagte, sie würde
Feuerholz sammeln, und ging los. Obwohl sie in den letzten Tagen oft den
Eindruck hatte, dass sie sich kaum von der Stelle bewegten, musste sie nun doch
feststellen, dass die Hügelkette viel näher gerückt war. Schon konnte sie die
Umrisse viel besser erkennen: schroffe Felsen, uralte Gebilde, die Wind, Regen,
Trockenheit und Sonne über Jahrmillionen brüchig gemacht hatten. Die Erde unter
ihren Füßen war von einem tieferen Rot als noch vor ein paar Tagen. Und es war
noch viel stiller geworden, stellte Emma fest, als sie sich weiter von der
Wasserstelle entfernte und das Schlürfen und Schnauben der Tiere nicht mehr zu
ihr drang. Das Einzige, was sie noch vernahm, war ihr eigenes Atmen. Sie bückte
sich nach trockenen Ästen und legte sie in ihren Arm. Beim Bücken und Aufstehen
wurde ihr immer wieder schwarz vor Augen, und sie musste eine Weile stehen
bleiben und tief durchatmen. Ab und zu fuhr sie sich mit dem Handrücken über
die Stirn, die sich noch immer trocken und glühend heiß anfühlte. Es ist allein
die Anstrengung, sagte sie sich, allein die Anstrengung. Ich bin nicht krank.
Die Vegetation wuchs so
spärlich, dass es kaum dickere Äste gab. Doch Emma entdeckte eine umgestürzte
verwitterte Wurzel, deren fingerartige Verzweigungen in den Himmel ragten, und
sie hoffte, dass die Wurzel nicht zu schwer zum Mitschleifen wäre. Sie zog
daran und wollte sich schon wundern, wie leicht es ging, als sie jäh
zusammenfuhr. Sie ließ den Ast los, schlug die Hände vor den Mund und erstickte
einen Aufschrei. Vor ihr, nun kaum noch von der alten Wurzel verdeckt, lagen
Skelette mit zerrissenen Kleiderresten. Trotz des grausigen Anblicks musste
Emma lange hinsehen. Über den Schädelknochen klebten nur noch wenige trockene
Hautreste. Und plötzlich war ihr, als ob sie und Paul und John dort lägen,
verirrt, verhungert, verdurstet, vergessen ... Dann dachte sie an die
Zeichnungen aus dem Buch, das sie auf dem Schiff gelesen hatte. Leichhardt, der
mit seinen Leuten im Busch verschollen war ...
Sie riss sich von dem
Anblick los und rannte so schnell sie konnte zur Wasserstelle zurück. Ihre
Kehle brannte vor Trockenheit, ihre Beine wollten sie nicht mehr tragen, ihre
Knie drohten einzuknicken, sie konnte kaum noch ihre Füße heben, sie stolperte
über Steine und musste gegen ihren Schwindel ankämpfen,
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