Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
sich
selbst gern solche alten Geschichten, auch die, die er von Aborigines aus
anderen Regionen gehört hatte. Sie gaben ihm die Gewissheit, nicht allein zu
sein. Auch jetzt, auf dem Rückweg von Oodnadatta, fühlte er sich mit der
Geschichte am Lagerfeuer besser. Seinen Bruder hatte er nicht gefunden. Noch
nicht. Aber er hatte die Missionare gesehen, und er hatte der weißen Frau die
Hand geschüttelt. Er fürchtete sich, dass er wegen der drei Männer gesucht
werden könnte. Obwohl ihn niemand gesehen hatte, wie er den Anführer getötet
hatte, überkam ihn bei den Missionaren doch ein seltsames Gefühl. Nein, hatte
er entschieden, er würde allein zu seinen Leuten zurückkehren. Jetzt, im Schutz
eines weißen Felsen, der vielleicht ein Schädel der von den Dingos und
Yirbaik-baik verschlungenen Aborigines war, sah er weit, weit entfernt in der Ebene
das schwache Licht ihres Feuers, und er konnte ihre Kamele und Rinder und
Pferde riechen. Emma Schott, hatte sie gesagt und ihm ihre schmale weiße Hand
entgegengestreckt. Und wie hell ihr Haar war ...
Jalyuri holte seinen
restlichen Vorrat Pituri aus der Hosentasche und stopfte sich das Kraut in den
Mund. Langsam fühlte er sich besser. Es rauschte und summte in seinem Kopf, die
Sterne funkelten, sprühten. Er kaute weiter. Da hörte er ein hohes Surren und
Schwirren. Alles in seinem Körper und auch die Luft um ihn herum begann zu
vibrieren. Der hohe Ton schwoll an. Sein Herz schlug schneller. Da! Das Gesicht
des Medizinmanns schwebte vor ihm. „Jalyuri“, seine Stimme hallte und schien
doch ganz leise. „Dein Sohn wird sterben ...“ Jalyuri war entsetzt. „Du weißt,
warum, Jalyuri. Jemand hat ihn besungen. Du weißt auch, wer.“ „Nein, nein, weiß
ich nicht!“ Er wusste nicht, ob er in dem Moment log. „Der Gott der Weißen ist
mächtig. Wir werden uns gegen seine Rache wehren müssen. Du hast einen Weißen
getötet. Mit den Missionaren wird noch mehr Unheil über uns alle kommen.“
„Nein!“ Er schreckte von seinem eigenen Schreien auf. Rasch sah er sich um. Das
Vibrieren und Summen hatte aufgehört. Seine Haut war feucht, sein Gesicht
klebrig. Er spuckte das weich gekaute Pituri-Kraut aus und schob noch einen
verdorrten Ast ins Feuer, damit es heller wurde und die evil-evil, die bösen
Geister, fern hielt.
4
Ein gelbes Licht
umhüllte und wärmte sie. Ein Krächzen drang näher. Einmal, zweimal ... Es war
ein raues Krächzen. Das wird von den Papageien sein, dachte sie, von den
rosagrauen, die sie auf dem Weg und auch in Oodnadatta schon öfter bemerkt
hatte. Ohne die Augen zu öffnen, sah sie alles vor sich. Den Schlafplatz, die
grauen Kohlen der erloschenen Feuerstelle, die hellen Schatten der Kamele, den
Berg ihrer Proviantkisten, der neben den beiden schweren Holzwagen aufgestapelt
war ... Sie wollte nicht aufwachen, sie wollte einfach weiter liegen bleiben
und träumen.
Da hörte sie ein
Knacken. Dann ein Knirschen von Metall auf Stein. Jemand kochte Tee, schob den
Kessel zum Feuer. Klar und deutlich stand vor ihr, was sie erwarten würde: ein
weiterer Tag Wanderung durch eine endlose, immergleiche Wüste aus steinigem
Boden, niedrigen Büschen und kümmerlichen Bäumen. Ein hellblauer Himmel, über
den sich Wolkenschlieren zogen, durch die eine weiß gleißende Sonne schien.
Lieber Gott, betete sie, vergib mir meine Mutlosigkeit. Sie seufzte und schlug
die Augen auf. Vor ihr, nur eine Handbreit von ihrem Gesicht entfernt, lag
etwas im Sand. Etwas Dunkles, Längliches. Ohne sich zu bewegen, starrte sie das
fremde Etwas an. Was war das? Schließlich setzte sie sich auf. Aber, das war ja
ihr Kamm! Sie hatte ihn nach dem Haarewaschen benutzt und dann ... Sie
versuchte sich zu erinnern ... Das Augenpaar hatte sie angestarrt ... Das
unangenehme Gefühl, schutzlos und ausgeliefert zu sein, breitete sich wieder in
ihr aus. Was hatte sie dann mit dem Kamm gemacht? Hatte sie ihn denn nicht am
Wascheimer liegen lassen? Aber wieso lag er jetzt hier, vor ihr? Sie richtete
sich ganz auf und musste dabei die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzustöhnen.
Ihr Kopf schmerzte, sie fühlte sich steif und kalt, als ob ihr Körper nicht
mehr ihr gehörte. Sie nahm den Kamm und betrachtete ihn. Ja, es war ihrer, der
dunkle Hornkamm, der ihrer Mutter gehört und den diese ihr bei Kriegsbeginn
geschenkt hatte, um sie aufzumuntern. Damals hatte ihre Mutter noch nicht
gewusst, dass sie zwei Söhne und ihren
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