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Das Leuchten der schottischen Wälder

Das Leuchten der schottischen Wälder

Titel: Das Leuchten der schottischen Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
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Tüte mit den feuchten Sachen für die Reinigung.
    Ein kleiner Abendspaziergang und vielleicht ein kleines freundschaftliches Wiedersehen? Er dachte an die Worte der Ärztin und machte sich hoffnungsvoll auf den Weg.
    Lena war viel zu müde, um an ein freundschaftliches Wiedersehen oder hoffnungsvolle Wünsche zu denken. Sie hatte eine fast schlaflose Nacht und acht gut besuchte Praxisstunden hinter sich. Zu den gewohnten Patienten hatten sich mehrere Helfer gesellt, die während der Lösch- und Aufräumarbeiten die eine oder andere Verletzung davongetragen hatten. Da gab es ein paar Brandwunden, einige Prellungen, einen verstauchten Fuß und einen gebrochenen Arm. Nichts Ernstes, und dafür war die Ärztin dankbar. Gravierende Verletzungen zu behandeln, wäre ihr heute schwergefallen. So kümmerte sie sich, als der letzte Patient gegangen war, nur noch um ihre Blumen, atmete tief durch, als sich ihr Gast endlich verabschiedete, lief mit Sandy zum Stall hinunter um nachzusehen, ob es dort Schäden gegeben hatte und freute sich auf ein ruhiges Abendessen.
    Ein leichter Wolkenschleier hatte sich vor die untergehende Sonne geschoben. Zwei Eichhörnchen tobten in dem alten Apfelbaum, und ein paar Grillen zirpten im Gebüsch. Amy hatte ein gebratenes Huhn mit Ofenkartoffeln zubereitet und alles in die Mikrowelle gestellt, die Lena nur noch zum Wärmen anschalten musste. Später nahm sie das vorbereitete Essen mit hinaus in den Garten und genoss die Stille des Abends, die heute so wohltuend war.
    Sandy hatte sich unter der Bank zusammengerollt. Plötzlich hob sie den Kopf, dann knurrte sie leise. Lena bückte sich und hielt sie fest.
    Um das Haus herum kam ein Kind gerannt. Lena erkannte den kleinen Bob, der damals, kurz vor ihrem Einzug, von der Gans attackiert worden war. Der Junge war hochrot im Gesicht, weinte und rief: „Der Papa schlägt die Mama tot, der Papa … sie ist ganz voller Blut.“ Er schluchzte: „Überall ist Blut.“
    Lena sprang auf, brachte Sandy in die Küche und rief die Polizeiwache an. „Hier Dr. Mackingtosh in Broadfield. Das ist ein Notruf, schicken Sie jemanden in die Dorfstraße 45 von Broadfield. Ein Junge behauptet, der Vater schlüge die Mutter tot. Beeilen Sie sich, ich laufe jetzt rüber.“
    „Verstanden, wir sind schon unterwegs.“
    Lena griff nach ihrem Unfallkoffer und rannte mit dem Jungen den langen Weg hinunter. Als sie das Haus erreichten, blieb der kleine Bob zurück und schüttelte den Kopf. „Ich habe Angst, ich bleibe hier.“
    „Ist gut. Ich gehe mal rein. Warte hier auf die Sergeant.“
    Vorsichtig näherte sie sich der offenstehenden Eingangstür. Drinnen war es still. Es roch nach billigem Alkohol. Die Küchentür war nur angelehnt, sie hörte das Wimmern einer Frau. Langsam öffnete Lena die Türe ganz. Was sie sah, ließ sie erstarren. Die Bäuerin lag blutüberströmt auf den Fliesen. Glasscherben und Flaschenreste bedeckten den Boden. Aber bevor sie sich zu der Frau hinunterbücken konnte, hörte sie ein Geräusch hinter sich. Sie drehte sich um. In der Tür stand ein Riese von einem Mann, eine halbvolle Whiskyflasche in der Hand. Mit glasigen Augen starrte er sie an. Dann hob er drohend die Flasche und kam auf sie zu.
    Speichel floss aus einem Mundwinkel. Wie ein verwundetes Tier brüllte er auf und schwenkte die Flasche. Geistesgegenwärtig riss Lena den Arztkoffer hoch und hielt ihn sich als Schutz vors Gesicht. Die Flasche zersplitterte, als sie gegen den Aluminiumkoffer prallte. Der Mann wich zurück und stolperte über die leblose Frau am Boden, dann fiel er rückwärts mit dem Kopf zuerst in die Buntglasscheiben der Küchentür, die klirrend zerbarsten. Lena nahm den Koffer herunter und sah im Zeitlupentempo den fallenden Mann, das splitternde Glas und den Sergeant, der in diesem Moment den Hausflur betrat. Im ersten Augenblick wollte der Polizist die Pistole ziehen, dann sah er auf den blutenden Mann am Boden. Eine grasgrüne Glasscherbe ragte aus seinem Hals. Blut spritzte mit jedem Herzschlag aus der Wunde. Die Scherbe hatte die linke Halsschlagader getroffen.
    Lena war sofort bei ihm, zog das Glasstück heraus und presste Mulltücher auf die Wunde. „Hier, halten Sie mal“, forderte sie den Sergeant auf und suchte in ihrem Koffer nach einem Druckverband. Ein zweiter Polizist kam ins Haus. „Rufen Sie einen Rettungshubschrauber, es geht um Minuten“, rief sie ihm zu.
    In diesen Sekunden war es Lena völlig egal, ob sie einem Teufel oder einem Engel

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