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Das Leuchten der schottischen Wälder

Das Leuchten der schottischen Wälder

Titel: Das Leuchten der schottischen Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
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Ritterrüstung?“ Lena sah ihn ernst an. „Heute kann man doch keinen Menschen mehr zwingen, etwas zu tun, was er nicht will.“
    „Ich bin der einzige Sohn, und in unseren Kreisen ist es eben üblich, dass der älteste oder der einzige Sohn in die Fußstapfen des Vaters tritt und das entsprechende Erbe übernimmt.“
    „Und das wollen Sie nicht?“
    „Auf gar keinen Fall. Ich lege Wert auf meine Freiheit. Ich will das tun, was mir Spaß macht, was mich erfüllt, was mein Leben lebenswert macht.“
    „Ja, das kann ich verstehen.“ Lena dachte an ihre eigene Karriere. Auch sie wollte anders leben als ihre Eltern, frei sein und in der Großstadt wohnen statt in einem hinterletzten Dorf am Benderloch. Und was ist daraus geworden?, dachte sie, das Schicksal hat anders entschieden, und nun bin ich doch dort gelandet, wo meine Eltern mich immer haben wollten.
    Der Ranger sah sie aufmerksam an. „Was ist los? Habe ich etwas Falsches gesagt?“
    Lena schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, nein, aber manchmal kommt es dann doch anders, als man selbst plant.“
    „Wie meinen Sie das?“
    „Ich wollte niemals in einem Dorf leben, ich wollte die Großstadt genießen. Und wo bin ich gelandet?“
    „Am wunderschönen Benderloch, mitten in den herrlichen Highlands.“ Und verdammt nahe bei mir, dachte der Ranger, sagte das aber nicht.
    Lena seufzte. „Das Leben geht eben seine eigenen Wege.“
    „Nicht mit mir“, versicherte Patrick McDoneral sehr selbstbewusst.
    „Sie haben Eltern, gegen die Sie angehen können, denen Sie widerstehen dürfen, ich hatte diese Eltern nicht mehr. Das machte mich hilflos.“
    „Meinen Eltern geht es ja nicht nur um meine Zukunft als Earl und Verwalter, sondern um den angemessenen Fortbestand der Familie.“
    „Sie deuteten so etwas an. Deshalb bin ich ja auch heute und hier unterwegs.“
    „Wofür ich Ihnen sehr dankbar bin. Darf ich noch eine Bitte äußern, damit unser Auftritt glaubwürdig wird?“
    „Und was wäre das?“
    „Wir sollten uns vielleicht zum ‚Du’ entschließen und mit Vornamen ansprechen.“
    „Ja, das wäre angebracht. Das genügt dann aber auch.“
    „Was meinen Sie mit ‚genügen’?“
    „Dass wir auf weitere Vertraulichkeiten verzichten können.“
    Der Ranger grinste. „Ich werde die Chance nicht nutzen.“
    „Das beruhigt mich.“
    „Darf ich denn wenigstens ab und zu Ihre“, er räusperte sich, „ich meine, deine Hand halten?“
    „Du darfst.“
    „Und wie weit dürfen unsere Vertraulichkeiten gehen? Wir müssen doch glaubwürdig erscheinen.“
    „Ich halte dich für einen Gentleman, also enttäusche mich nicht.“
    „Meine Mutter ist eine sehr aufmerksame, neugierige Lady.“
    „Ich rechne mit getrennten Schlafzimmern, um ganz deutlich zu werden.“
    „Da kannst du sicher sein. Erstens weiß sie nicht, dass ich dich mitbringe, zweitens schlafe ich immer in meinem eigenen Zimmer, und drittens hat das Schloss mehr als dreißig Gästezimmer.“
    „Meine Güte.“
    „Es ist ein riesiger Kasten mit immer neuen Anbauten, denn jeder Earl hatte die Angewohnheit, seine Spuren zu hinterlassen, und das kann man am besten, wenn man baut.“
    „Du machst mich neugierig.“
    „Wir erreichen in wenigen Minuten die Küste, und dann siehst du auch Archestown.“
    Die Sonne stand bereits tief im Westen, als das graue Schloss hoch über dem Meer am Rand der Steilküste auftauchte. Zahllose Fenster, Zinnen, Türme und Türmchen, beleuchtet von der untergehenden Sonne, ragten in den Himmel über der Beatnell Bay, und Lena bekam eine Gänsehaut beim Anblick dieser gewaltigen Anlage aus grauem Granit.
    Der Ranger, der wusste, welche Reaktion Archestown bei fremden Besuchern auslöste, wollte die Wirkung herunterspielen. „Es sieht gefährlicher aus, als es ist.“
    „Es ist umwerfend“, flüsterte Lena, „wie kann man in solch einem Gemäuer leben?“
    Patrick grinste. „Genau das ist seit vierzig Jahren mein Problem. Aber wenn man daran gewöhnt ist, geht es. Wir bewohnen ja nur Teile des Schlosses, aber ich gebe zu, als Kind habe ich mich oft verlaufen. Und Angst hatte ich auch. Die Erzieher haben, wenn ich nicht gehorchte, mit Geistern und Gespenstern gedroht, und Eltern, die ich um Hilfe bitten konnte, waren ja nie da. Mutter hatte ihre Charity-Veranstaltungen und Fuchsjagden, und Vater war auf Geschäftsreisen oder auf Poloturnieren. Aber das habe ich, glaube ich, schon erzählt.“
    „Ja, das hast du schon einmal erwähnt. Hast du keine

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