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Das Leuchten der schottischen Wälder

Das Leuchten der schottischen Wälder

Titel: Das Leuchten der schottischen Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
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den Rollstuhl und einen Brief von mir heimlich ins Schloss zurückbringen, und ich bin dann eben weg.“
    „Du machst es dir sehr einfach, Patrick. Du solltest die Auseinandersetzung mit deinen Eltern suchen.“
    „Aber nicht als hilfloser, blinder Krüppel. Einer Auseinandersetzung mit meinen Eltern und ihren Rechtsanwälten bin ich noch nicht gewachsen. Die Betonung liegt aber auf ‚noch nicht’!“
    „Dann komm.“
    Und ohne einen Ton des Schmerzes stand Patrick auf, tastete nach zwei Krücken, die neben dem Stuhl standen und humpelte los. Mit Entsetzen sah Lena, wie schwer dem Mann das Laufen fiel und wie sehr er sich anstrengen musste, um nicht laut zu klagen. „Kannst du mich bitte führen?“
    Lena lief an seine Seite, öffnete die Türen, führte ihn um die Hütte herum zum Schuppen und assistierte ihm beim Einsteigen. Sie legte die Krücken auf die Rückbank, half ihm, die bandagierten Beine in den Wagen zu heben und schloss die Beifahrertür. „Willst du dem alten Mann nicht auf Wiedersehen sagen?“
    „Das haben wir erledigt, bevor du gekommen bist.“
    „Du warst deiner Sache sehr sicher.“
    „Ich wusste, dass du mich nicht im Stich lässt.“
    Lena startete, fuhr rückwärts aus dem Schuppen und folgte seinen Anweisungen. Erst eine ganze Weile später schaltete sie die Scheinwerfer ein und fuhr dann zügig über den Highway nach Norden.
    Die nächtliche Fahrt erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit. Patrick neben ihr war eingeschlafen. Sie hatte ihm die Rückenlehne zurückgestellt, so dass er beinahe liegen und die Beine ausstrecken konnte.
    Was soll bloß werden, wenn ich zu Hause ankomme, dachte sie immer wieder. Hofft er auf ein Versteck oder eine Unterkunft bei mir? Unser Gästezimmer liegt im Dachgeschoss neben dem Schlafzimmer meiner Eltern, in dem ich jetzt wohne, unmöglich, ihn dort hinaufzubekommnen. Und tagsüber? Darf oder kann er sich in der Öffentlichkeit sehen lassen? Was werden die Bauern sagen, das gibt sicher Gerede. Oder will er, wenn wir am Benderloch angekommen sind, irgendwo in einem Hotel wohnen? Er hat doch keinerlei Gepäck, was will er anziehen? Himmel, stöhnte sie innerlich, ein Berg von Fragen und keinerlei Antworten. Hat er Geld, hat er irgendwo Freunde, hat er irgendwelche Rechte aufgrund seiner Arbeit als staatlicher Ranger? Was ist mit dem Försterhaus, in dem längst ein anderer Wildhüter wohnt? Und vor allem, was will er als blinder Mann machen? Wovon will er leben, wenn die Eltern ihm keinen Unterhalt zahlen?
    Sie seufzte. Gut, eine Weile kann er bei mir wohnen, er muss in der Wohnstube auf dem Sofa schlafen, man kann die Armlehnen herunterklappen, dann ist es lang genug. Aber das ist doch nur ein Notbehelf.
    Ich muss Sergeant Marloff um Rat fragen und notfalls um Hilfe bitten, wenn ich allein nicht fertig werde. Robert Marloff ist ein netter, hilfsbereiter und ehrlicher Mann, dem kann man vertrauen. Ebenso wie dem Schäfer. Immerhin habe ich zwei Freunde, die uns nicht im Stich lassen werden.
    Dann dachte Lena an ihre Praxis, die jetzt so in Anspruch genommen wurde, dass sie oft nicht wusste, wie sie ihre Zeit einteilen sollte. Ich kann unmöglich nebenbei einen blinden Mann betreuen, überlegte sie. Er kennt sich in Broadfield nicht aus, er kann keinen Schritt allein machen, er ist total auf mich angewiesen. Amys Mann könnte mir dabei helfen, aber der ist unzuverlässig. Wenn der in die Nähe des Pubs kommt, vergisst er seine Pflichten und ist nicht mehr ansprechbar.
    Himmel, was habe ich mir da aufgeladen, dachte sie bestürzt. Trotzdem, wehrte sie die ängstlichen Gedanken sofort ab, er ist mein Freund geworden, er hat mir auch geholfen, wenn ich nicht weiterwusste, er hat mich ins Vertrauen gezogen, als es um die Probleme mit seinen Eltern ging, ich kann und ich werde ihn nicht im Stich lassen. Wir werden einen Weg finden.
    Über der Nordsee ging die Sonne auf, als sie durch Dundee fuhr und dann nach Westen abbog, um über Perth und am Loch Lomond vorbei zum Benderloch zu fahren.

Kapitel 31
    Auf der letzten Strecke des Weges, die Lena beinahe auswendig kannte, nahm sie sich hin und wieder die Zeit, den Mann neben sich zu betrachten. Er besaß einen kräftigen, sportlichen Körper und mehr Wissen über das Land und die Natur, als die meisten Männer je erwerben konnten. Er war hochgewachsen, hatte ein von Sonne und Wind ausgeblichenes Haar und ein gebräuntes Gesicht. Sein Lächeln, daran erinnerte sich Lena genau, war ein bisschen schief, was ihm

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