Das Leuchten der schottischen Wälder
abgefahren.
Nördlich von Alnwick hatte sie sich dann verirrt. Sie wollte, wie Patrick vor ein paar Wochen, die Abkürzung an der Küste entlang nehmen, kam aber plötzlich auf den schmalen Straßen nicht weiter und musste zurückfahren und dann von Alnwick auf der Hauptstraße bis Belford fahren, um von dort auf die Küstenstraße und nach Archestown zu kommen.
Endlich tauchte in der Dämmerung der Schlosskomplex auf, riesig, bedrohlich, grau wie der diesige Himmel und abweisend. Diesmal sah sie das Schloss von der richtigen Seite aus und fühlte sich allein von seinem Anblick schon bedroht. Langsam fuhr sie die lange Allee entlang. Dann sah sie kurz vor der Zufahrt zum Damm den alten grauen Bretterschuppen, von dem Patrick gesprochen hatte, und dahinter, von Bäumen und Sträuchern verborgen, die Hütte.
Sie stellte den Motor ab und ließ den Wagen in den Schuppen rollen. Leise, um niemanden auf ihr Kommen aufmerksam zu machen, schloss sie die Wagentür und ging zum Eingang der Hütte. Ein alter Mann öffnete, bevor sie klopfen konnte.
„Miss Mackingtosh?“
„Ja.“
„Kommen Sie herein.“
Der Mann ließ sie eintreten und schloss die Tür wieder. „Kommen Sie mit.“ Er führte sie in einen Raum, in dem Patrick McDoneral in einem Rollstuhl und mit einer Binde um die Augen saß.
„Hallo, Patrick.“
„Danke, Lena, dass du gekommen bist.“
„Wie geht es dir?“
„Etwas besser, als es aussieht.“
„Was meinst du damit?“
„Ich kann laufen, aber ich habe es niemandem gezeigt. Meine Beine sind voller Narben, aber die sind verheilt, nur habe ich es keinem gesagt.“
„Dann bist du gar nicht auf den Rollstuhl angewiesen?“
„Ich kann wieder laufen, wenn auch nur mit Krücken und unter Schmerzen, aber die werden mit jedem Tag weniger.“
„Und warum dann der Rollstuhl?“
„Ich spiele den Kranken, den Verletzten, den Unbeweglichen, damit man mich in Ruhe lässt.“
„Aber hast du keinen Arzt, der deinen Zustand kennt?“
„Den habe ich schon vor zwei Wochen abgelehnt.“
„Und warum das Spiel?“
„Weil ich heiraten sollte.“
„Was? Verletzt, ohne etwas sehen zu können, sollst du heiraten?“
„Ja, Lena, in unseren Kreisen kommt es nicht auf Glück und Liebe an oder auf Gesundheit, sondern auf Geld, auf das Ansehen und auf den Einfluss und auf die Macht, und die hat ein Earl auch ohne Beine und ohne Augen. Es gibt eine überaus wohlhabende Familie mit zwei heiratsfähigen Töchtern in Edinburgh, die unbedingt in die gräflichen Kreise innerhalb der High Society einheiraten sollen. Mein Vater bekäme den lange gewünschten Posten im Parlament, meine Mutter die ersehnte Anerkennung in Regierungskreisen und ich …“
„Und du?“
„Ich müsste nur den Sohn und Erben zeugen, mehr würde von mir nicht verlangt. Und dazu braucht man keine Beine und keine Augen.“
„Patrick.“
„Tut mit leid, Lena, dass ich so drastisch bin und so hart. Aber so sieht meine Zukunft aus, wenn ich hier bliebe.“
„Aber du könntest dich wehren.“
„Und dann? Ich habe dieses Haus nie geliebt, aber dann wäre ich daran gebunden. Meine Eltern wollen den Nachwuchs, und es gibt nichts, was sie daran hindern könnte.“
„Patrick, ich kann das nicht glauben. Wir leben doch nicht im Mittelalter.“
„Schau dir das Schloss an, und dann sag mir, ist das das Mittelalter oder nicht?“
„Es macht mir Angst, das stimmt. Ich könnte hier nicht leben.“
„Und genau deshalb will ich fort.“
„Aber man wird dich suchen.“
„Selbstverständlich, aber außerhalb des Schlosses gibt es Rechte und Gesetze, nur drinnen gibt es sie nicht.“
„Du meinst, ich soll dich einfach mitnehmen.“
„Ich bitte dich darum, Lena.“
„Und wie stellst du dir das vor? Wir haben Northumberland noch nicht verlassen, und man wird nach dir suchen und von Entführung sprechen.“
„Wenn wir jetzt fahren, sind wir morgen früh in Benderloch.“
„Patrick, ist das wirklich dein Wunsch? Du gibst hier alles auf, auch die Rechte, die dir als Sohn des Earl zustehen.“
„Diese Rechte wollte ich noch nie. Ich bin Ranger geworden, das ist es, was ich wollte.“
„Du wirst diesen Beruf nicht mehr ausüben können.“
„Ich werde etwas Ähnliches finden. Lena, bitte.“
„Gut. Fahren wir. Was brauchst du, was willst du mitnehmen?“
„Nichts. Bring mich zu deinem Wagen, und wir können starten.“
„Und der alte Mann draußen vor der Tür?“
„Mein einziger Freund, der alte Schäfer, er wird
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