Das Leuchten der schottischen Wälder
hatten sie das kleine Cottage am Juniperwalk erreicht. Friedlich lag es inmitten des Gartens, nur wenn der Wind etwas von Norden kam, wehte er den Brandgeruch der verkohlten Wälder und Moorflächen herüber.
Lena half dem Ranger beim Aussteigen, führte ihn zur Gartenbank und bat ihn, hier zu warten, weil sie Colleen nicht mit einem fremden Gast überfallen wollte.
„Ich sah dich schon kommen“, begrüßte Colleen mit dem Baby auf dem Arm die Ärztin. „Du bist nicht allein?“
„Ich habe den Wildhüter mitgebracht. Dein Schäfer hat gesagt, wir sollten dich besuchen.“
„Ist recht so. Kommt rein.“ Colleen drückte dem fremden Mann das Baby in den Arm. „Hier, halten Sie mal mein Kind“, sagte sie und führte ihn zu einem Stuhl, auf den er sich setzen sollte. Sie füllte warmes Wasser in eine Schüssel, die Lena halten musste, streute Kräuter hinein, nahm mit einem Spachtel verschiedene Cremes aus verschiedenen Gläsern und verrührte alles zu einer graugrünen Masse, die grässlich aussah und herrlich duftete. Dann nahm sie dem Ranger die Augenbinde ab, kontrollierte die verklebten Lider und begann mit den Fingerspitzen die Masse daraufzureiben. Zuerst zuckte der Ranger bei jeder Bewegung zusammen, dann hatte er sich an diese Art von Massage gewöhnt. Als Colleen sagte: „Genug für heute“, lehnte er sich erschöpft aber schmerzfrei zurück. Er konnte zwar noch immer nichts sehen, aber der Druck war fort, und zum ersten Mal seit Wochen hatte er das Gefühl einer ungeheuren Erleichterung.
„Morgen kommt ihr wieder. Es kann lange dauern, aber wir schaffen das.“ Sie nahm dem Wildhüter das Kind ab und nickte Lena zu. „Das ist keine Hexerei“, versicherte sie lachend, „alles pure Natur, denn Gottes wunderbare Schöpfung hat für jedes Gift ein Gegenmittel und für jede Sorge eine Lösung, man muss sie nur kennen.“
Lena fuhr an jedem Nachmittag, sobald die Praxis geschlossen war, mit dem Ranger zur Heilerin. Sie hatte längst alle Vorurteile über diese natürlichen Heilverfahren aufgegeben und versuchte, möglichst viel von der Frau zu lernen. Patrick McDoneral war dankbar und froh über die Erfolge, die er deutlich spüren konnte. Die Augenlider ließen sich wieder bewegen, und er konnte sie selbst öffnen. Noch verschwamm die Welt um ihn herum, aber das dichte Grau, das er zuerst sah, verwandelte sich in eine helles Grau, in dem jetzt auch bunte Stellen erkennbar waren. Er hatte alle Pläne, sich in Glasgow um Büroarbeiten zu bemühen, aufgegeben, und konzentrierte sich ganz auf die kleinen Erfolge bei der Heilerin. Er war Lena unendlich dankbar, dass sie ihm das Wohnen in ihrem Haus gestattete und kannte sich inzwischen so gut aus, dass er sich allein in allen Räumen bewegen und sogar die Treppe hinauf in das Gästezimmer bewältigen konnte.
Als er Licht und Schatten unterscheiden konnte, begann er die Umgebung des Hauses zu erkunden, und als er allein zum Stall gehen konnte, verbrachte er viele Stunden bei den Alpakas und den beiden Border Collies. Als Tom von seinem kurzen Urlaub zurückkam, bat er diesen, ihm die Tiere, ihre Eigenheiten, die Fütterung und die Pflege zu erklären.
Lena war sehr froh über diese Entwicklung. Sie hatte mit Philipp Bruneel über den Verkauf der Herde gesprochen, aber der hatte ihr dringend davon abgeraten, denn die Jahreszeit sei ungünstig, und er wüsste auch keinen Züchter, der zum Herbst hin an einer Herde interessiert sei. „Im Frühjahr, wenn die Weidezeit beginnt und reichlich Futter zur Verfügung steht, ist es viel günstiger, eine Herde zu verkaufen. Dann haben die Tiere ein dichtes Winterfell und machen einen exzellenten Eindruck“, erklärte er und versprach ihr, sich dann um den Verkauf zu kümmern.
Oft, wenn Lena und Patrick abends von der Behandlung bei der Heilerin zurückkamen, gingen sie Hand in Hand hinunter zur Hausweide und zum Laufstall, um den Tieren zuzuschauen. Aus einer Unerlässlichkeit, die aus der Blindheit geboren war, war eine liebenswerte Selbstverständlichkeit geworden. Wenn sie dann bei Nacht zurück zum Haus gingen, erzählte Patrick von seinen früheren Streifzügen durch die nächtlichen Eulenwälder, machte Lena auf die Stimmen der Nacht aufmerksam und legte auch schon mal seinen Arm um ihre Schultern und lehnte seinen Kopf an ihr Haar. Lena genoss die stillen, zurückhaltenden Zärtlichkeiten, und obwohl sie den Mann an ihrer Seite führen musste, fühlte sie sich in seiner Nähe absolut geborgen.
Kapitel
Weitere Kostenlose Bücher