Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
ankündigt, bekommt man eine arrangierte Wirklichkeit zu sehen. Deswegen haben wir zuvor keinen Kontakt mit Frau Marwat aufgenommen.
Seegemann beugte sich über den Tisch. Er sagte, ich kann Ihnen versichern, dass Frau Marwat eine absolut integre Persönlichkeit ist. Sie leistet einen sehr wichtigen Beitrag zur Entwicklung dieses Landes, und sie tut das notabene unter großem persönlichen Risiko. Glauben Sie mir, es ist ihr ganz egal, ob Journalisten da sind oder nicht. Sie hätten sich ruhig anmelden können, Ihr Misstrauen ist in diesem Fall völlig unbegründet. Und noch eines möchte ich Ihnen sagen. Wenn wir hier unsere Truppenstärke reduzieren müssen, wie es der Bundestag beschlossen hat, und wenn wir eines Tages ganz abziehen, bedeutet das, dass wir Frau Marwat den Taliban überlassen. Die werden zurückkehren und mit allen abrechnen, die unter unserem Schutz Mädchen unterrichtet und an Krebs erkrankte Frauen auch gegen den Willen ihres Ehemanns operiert haben. Sie können mich gerne zitieren: Der Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan wird Tausenden von Afghanen und Afghaninnen das Leben kosten, die versucht haben, dieses Land einen Schritt vorwärtszubringen. Es sterben Menschen, weil wir hier sind, das stimmt. Aber es sterben auch Menschen, weil wir gehen.
Strömung
Das Lachen aus einer Baracke, ein Husten, ein Räuspern. Jemand spuckte aus. Auf den Wachtürmen Schatten, im Mondlicht glänzten die Barackendächer, ein Wind huschte vorbei. Miriam hatte sich bei Martens untergehakt, schweigend gingen sie unter den Sternen zu ihrer Unterkunft. Martens blies den Rauch seiner Zigarette von Miriam weg, aber der Wind war stärker.
Geben Sie mal her, die Zigarette, sagte sie.
Martens gab sie ihr, und sie inhalierte tief und pustete den Rauch aus den Nasenlöchern.
Das musste jetzt sein, sagte sie und gab ihm die Zigarette zurück.
Ich dachte, Sie rauchen nicht?, sagte er.
Ich hab’s aufgegeben, als ich mit Sinan schwanger war. Aber es gab Tage, an denen ich lieber geraucht hätte, als schwanger zu sein.
Sie strauchelte, er hielt sie fest.
Mein Mann, sagte sie, mein früherer Mann hat nicht mit Rauchen aufgehört, als ich schwanger wurde. Ich musste es tun, er nicht. Aber immerhin, er rauchte nur noch auf dem Balkon. Auch er brachte ein Opfer. Er dachte, dass er sogar ein größeres Opfer brachte als ich. Es war ein kalter Winter, und er zog sich zehnmal am Abend den Mantel an und stand mit verschränkten Armen und der Zigarette im Mund auf dem Balkon. Er schaute vorwurfsvoll durch das Fenster zu mir ins Wohnzimmer, um mir zu sagen: Da siehst du mal, was ich alles für dich und das Kind tue!
Sie waren bei der Baracke angekommen.
Ich kann jetzt noch nicht schlafen, sagte sie. Haben Sie noch Wein?
Sogar einen sehr guten, sagte Martens. Muscat. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dass er zu warm ist … und Gläser haben wir auch keine.
Die Flasche hat oben ein Loch, sagte sie. Im Allgemeinen genügt das.
Sie saßen in Martens’ Zimmer auf dem Bett. Die Lampe an der Decke ließ nichts unbeleuchtet. Durch eine der dünnen Wände war ein merkwürdiges Schaben zu hören, man konnte sich nicht vorstellen, wodurch es verursacht wurde.
Sie tranken den Muscat aus der Flasche und aßen den Käse, der vom Abendessen mit Seegemann übrig geblieben war. Martens hatte ihn in einer Papierserviette mitgenommen. Der Käse schmeckte nach wenig mehr als nichts, eignete sich aber als Unterlage für die Süße des Muscats.
Dass Seegemann die Lehrerin kennt, sagte Martens, macht mir ein bisschen Sorgen.
Ach, sagte Miriam, und wenn schon. Ein Käsekrümel hing ihr im Mundwinkel. Sie leckte es sich weg. Ich will jetzt nicht daran denken, sagte sie. Tun Sie mir einen Gefallen?
Ja?
Geben Sie mir bitte eine Zigarette.
Lieber nicht.
Das ist nett von Ihnen, sagte sie. Aber es bedeutet ja nicht, dass ich wieder mit Rauchen anfangen will. Ich möchte nur diese eine Zigarette rauchen, heute Nacht.
Normalerweise bleibt es aber nicht bei der einen, sagte er.
Finden Sie dieses Gespräch interessant?, fragte sie.
Nein.
Dann geben Sie mir jetzt bitte eine.
Er hielt ihr die Packung hin, gab ihr Feuer und schaute zu, wie sie rauchte. Er zündete sich selbst eine an und stand auf, um das Kippfenster zu öffnen. Er rauchte nie in den Zimmern, in denen er schlief, zu Hause nur in der Küche, und es störte ihn, dass er die Nacht in einem nach Rauch riechenden Zimmer verbringen musste und dass seine Kleider den Geruch annehmen
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