Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
Scheinwerfern vertrieb die natürliche Schönheit der Abenddämmerung.
Gibt es keine Verdunkelung?, fragte Martens.
Doch, sagte Nolting. Ab 20.00 Uhr.
Dann schaue ich dich jetzt noch einmal an, dachte Martens und schaute Miriam an.
Seegemann empfing sie in einem schuhschachtelartigen Besprechungsraum, es war schwer vorstellbar, dass ein so hoch aufgeschossener Mann wie er in dieser Enge erfolgreiche militärische Operationen planen konnte. Seegemanns Scheitel verfehlte die Decke nur um Fingerbreite, der Zweimetermann wirkte in seinem eigenen Besprechungsraum wie eingesperrt. Er streckte Martens eine Hand mit langen Fingern hin, der Händedruck war lau, die Kraft verlor sich in der Weite. Ein asketisches Gesicht mit einer Habichtsnase und zwei sehr klugen Augen, aber nicht ohne Tücke. Teures Rasierwasser. Als er Miriam die Hand schüttelte, beugte Seegemann sich zu ihr hinunter, er machte ihr ein Allerweltskompliment, eine so attraktive Frau in seinem Camp und so weiter. Er verstand es, sie interessiert anzusehen, ohne anzüglich oder bedürftig zu wirken. Er gefiel Miriam, Martens bemerkte es nicht ohne Stich.
In meinem Camp – Seegemann war der Burgherr, ihm gehörte hier alles, auf alles, was das Camp betraf, hatte er eine Antwort, leichthin konnte er kleine Geheimnisse verraten oder sich geheimnisvoll machen durch Anspielungen, die er unerklärt ließ. Er war der Oberste, das zog sie an. Sie neigte den Kopf, wenn er mit ihr sprach, sie lachte über seine Bonmots eine Spur zu bereitwillig, und wenn er als Kommandant ernst wurde, lauschte sie seinen Ausführungen und machte sich Gedanken über ihn als Mann. Seegemann war ein aufgeklärter, gebildeter und selbstironischer Offizier. Miriam beeindruckte das, sie konnte ja nicht wissen, dass man Offiziere wie Seegemann mittlerweile in allen westlichen Armeen antraf. Diese Offiziere waren eine Mischung aus Soldat und Sozialarbeiter, ohne Selbstironie war das gar nicht auszuhalten.
Sie aßen Thüringer Rostbratwürste von Porzellantellern und tranken dazu einen Burgunder aus Seegemanns Privatbeständen, und während das Besteck klapperte und Seegemann mit Miriam über das Saxofonspielen plauderte – sein Baritonsax stand in der Ecke, und es stellte sich heraus, dass Miriam früher auch Sax gespielt hatte –, dachte Martens, der zu dieser Diskussion nichts beitragen konnte, dass diese aufgeklärten Offiziere ihren Beruf mit verbundenen Händen ausübten. Es wurde von ihnen verlangt, dass sie Krieg mit äußerster Milde führten. Das war, als versuche man einen Apfel zu essen, ohne reinzubeißen.
Ich habe übrigens eine Ihrer Reportagen gelesen, sagte Seegemann und füllte die Gläser. Das Trauma des Uwe Kampe. Über den Soldaten aus Usedom. Der Text war sehr gut geschrieben. Aber ich fand Ihren Ansatz, nun ja, wenig hilfreich, was unseren Einsatz hier betrifft. Es konnte der Eindruck entstehen, als wäre Afghanistan ein Eldorado für Männer, die nicht gern zu Hause bei ihren Familien sind. Die das Familienleben langweilig finden. Ich kann selbstverständlich nicht für alle Soldaten hier sprechen. Aber aus vielen auch sehr persönlichen Gesprächen weiß ich, dass die meisten von ihnen ihre Familien sehr vermissen und unter der Trennung von ihren Frauen und Kindern leiden. Mir geht es nicht anders. Wenn ich mir eine Kritik erlauben darf: Mir kam in Ihrer Reportage zu wenig zum Ausdruck, dass es hier um Pflichterfüllung geht und nicht um ein vermeintlich abenteuerliches Leben ohne familiäre Verpflichtungen.
Wenn diese Soldaten am liebsten bei ihren Familien sind, sagte Martens, warum sind sie dann hier? Kein einziger wurde dazu gezwungen, es sind alles Freiwillige.
Ich kenne nicht die Motive jedes Einzelnen, sagte Seegemann. Beim einen und anderen mag eine gewisse Abenteuerlust durchaus eine Rolle spielen. Aber das gilt nicht für die, die ich persönlich kenne. Sie haben sich für den Dienst in der Bundeswehr entschieden, und der beinhaltet auch Einsätze im Ausland. Ein Bedürfnis, seinem Land aktiv zu dienen, kommt bei vielen noch hinzu.
Ich habe mit vielen Soldaten gesprochen, sagte Martens, und die meisten sagen dasselbe wie Sie. Pflichterfüllung. Seinem Land dienen. Den Afghanen helfen. Den Frieden sichern. Das mag ja alles auch stimmen. Aber es ist nur der Teil der Wahrheit, den man aussprechen darf. Was sie verschweigen, ist, dass sie hier sind, weil sie etwas Einzigartiges erleben wollen. Der Dienst in der Kaserne in Aachen, Kiel oder Ingolstadt
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