Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
die mit ihm zu tun haben.
Wie meinst du das?
Lass uns ein andermal darüber reden, sagte sie.
Sie streifte sich ihr T-Shirt über, zog ihren Pullover an, die Socken, die Schuhe, und es war richtig so. Es wäre zu früh gewesen. Um Miriam aber zu zeigen, dass er sie begehrenswert fand, zog er sie an sich und küsste sie. Es war ein hölzerner, schiefer Kuss, der beiden peinlich war.
Buße tun
Am nächsten Morgen regnete es. Von den Bergen stiegen Wolken herab und breiteten sich über dem Tal aus. Im grauen Licht wirkte das Camp schäbig. Die Materialien offenbarten ihren zweckmäßigen Charakter, wo man hinblickte Plastik und Stahl, nirgends fand das Auge etwas Verspieltes oder Ästhetisches. Lastwagen, von deren Planen das Wasser rann, brachten neue Güter, zwei schwarzafrikanische Küchengehilfen, die Haarhauben trugen, schleppten Kisten. Martens zog sich die Kapuze seiner Wetterjacke über den Kopf und ging über den Appellplatz zur Kantine. Miriam hatte ihm eine SMS geschrieben, guten Morgen, bin joggen, sehen wir uns um 10.00 bei mir?
In der Kantine aß Martens knusprige Brötchen, er strich dick Butter darauf und Honig und trank dazu eine Cola. Die Süße des Honigs und die der Cola neutralisierten sich gegenseitig, damit war er nicht zufrieden. Er ließ die Cola stehen und holte sich einen Tee mit viel Milch, aber ohne Zucker. Der herbe Tee harmonierte mit dem Honigbrot besser.
An einem der anderen Tische saßen drei Soldaten, die schweigend Gebäck aus dem Plastikbeutel aßen. Sie waren jung, knapp über zwanzig, einer wippte mit dem Bein. Mechanisch aßen sie die Kekse, und wenn ein Beutel leer war, rissen sie mit den Zähnen den nächsten auf. Etwas stimmte nicht mit ihnen, und als Martens den Blick eines der Soldaten auffing, wusste er, was es war: Dieser Mann hatte getötet. Und der Mann erkannte, dass Martens es wusste. Auch die beiden anderen blickten nun zu ihm, auch sie hatten den uferlosen Blick derjenigen, die auf der anderen Seite gewesen waren, die sich selbst verloren hatten und nicht wussten, wie sie weiterleben sollten. Ein Teil von ihnen war am Ort des Tötens zurückgeblieben, und es war ungewiss, ob dieser Teil je zu ihnen zurückfand, um sie wieder heil zu machen.
Martens setzte sich zu den Männern. Er stellte sich ihnen vor und fragte sie, woher sie kamen. Sie nannten die Namen von deutschen Ortschaften, in denen die Schulkinder jetzt auf den Pausenplätzen johlten, das Ordnungsamt verteilte Knöllchen, und in den Büros gurgelten die Kaffeemaschinen. Die Polizei schrieb Rapporte über Fahrraddiebstähle, Hundebesitzer ließen im Park ihren Hund den Hund eines Fremden beschnüffeln, und ein Fluss floss sicher und ruhig in seinem befestigten Bett von Haus zu Haus. Martens fragte die Männer, ob sie Feindberührung gehabt hätten, und sie erzählten, sie seien mit ihrem Trupp vor zwei Wochen in einen Hinterhalt geraten. Die Erinnerung daran flatterte wie ein schwarzer Schatten um sie herum. Das Gefecht habe zwei Stunden gedauert, sagten sie, zwei Kameraden seien verwundet worden, ein Lungensteckschuss und ein Beindurchschuss. Sie erzählen ihm alles, bis auf das, was sie verändert hatte. Es war ein hohles Gespräch. Es war hohl, weil Reden nichts nützte. Geständnisse bewirkten hier gar nichts. Geständnisse entlasteten das Gewissen von Verbrechern und Leuten, die ihre Ehepartner betrogen, aber nicht das dieser jungen Burschen, die in der Uniform und mit Waffen der Bundeswehr Afghanen erschossen hatten. Die Beichte brachte keine Vergebung – erzähl’s dem Truppenpsychologen, das wird dir gar nichts nützen. Einzig in der Sühne liegt die Vergebung, dachte Martens, es wurde ihm überhaupt erst jetzt bewusst, als ihm diese Männer alles und nichts erzählten. Er war sicher: Diese Männer hätten sich darum gerissen, ein Menschenleben zu retten. Ein kleines afghanisches Mädchen aus einem brennenden Haus tragen. Einen Bauern, dem eine Mine den Fuß abgerissen hatte, rechtzeitig ins Lazarett schaffen. Man wollte nicht über die Schuld sprechen, man wollte Taten vollbringen, die die Waage wieder ins Lot brachten. Einem vierzehnjährigen Mädchen, das in Männerkleidern mit den Taliban herumzog, zehntausend Dollar geben, damit es ein neues Leben beginnen konnte.
Schwimmen lernen
Martens ging zur Baracke zurück, der Regen war weitergezogen, über dem Camp rissen die Wolken auf, und die Sonne hatte sofort Kraft. Die afrikanischen Küchengehilfen schleppten noch immer Kisten, in der
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