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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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presste die Fäuste gegeneinander.
    Du meinst, sie mochten einander nicht?, fragte Martens.
    Pason nickte lange.
    Omar sagte etwas, mit lauter Stimme, damit es jedem klar war.
    Chargul hat die Gebete nicht eingehalten, übersetzte Pason. Er hat sich von Gott abgewandt.
    Dilawar rief Miriam etwas zu, alle drehten sich zu ihr um. Sie bemerkte es nicht, sie scharrte mit dem Fuß Steine und Erde über das Erbrochene. Sie hörte damit auch nicht auf, als Dilawar sie erneut ansprach. Einer der Männer stieß sie mit dem Gewehrlauf an, behutsam, und mit dem Gewehrlauf nur, weil es sich nicht ziemte, sie mit der Hand zu berühren. Miriam zog mit einer schläfrigen Bewegung den Schleier hoch, der sich gelöst hatte, sie bedeckte wieder ihr Gesicht. Es dauerte lange, bis sie unter ihrem Tschador das Handy hervorgeholt hatte. Sie legte es auf den Boden. Einer der Männer brachte es Omar, der es unter seinem Schuh zertrat.
    Wenn Chargul uns die Handys weggenommen hätte, sagte Martens zu Dilawar, wären wir nicht angegriffen worden. Die Amerikaner hätten nicht gewusst, wo wir sind. Ich wollte nicht, dass sie wissen, wo wir sind. Deine Schwester wollte es auch nicht. Wir sind hierhergekommen, um das Geld für ihn – Martens zeigte auf Evren – zu bezahlen. Was hätten wir davon gehabt, wenn wir die Amerikaner rufen, die dann auf alle schießen, auch auf uns? Wir hätten bei dem Angriff genauso sterben können wie deine Leute.
    Für alle Männer sichtbar lagen die Einzelteile der Handys auf dem Boden, die aufgebrochenen Gehäuse, die Platinen: diese Handys hatten den Amerikanern den Weg zum Stützpunkt verraten. Es leuchtete den Männern ein, denn sie hatten die technische Überlegenheit ihrer Feinde schon oft am eigenen Leib gespürt. Die Amerikaner konnten in der Nacht sehen wie am Tag, selbst in mondlosen Nächten feuerten sie gezielte Schüsse. Sie belauschten die Funkgespräche der Kommandanten, man konnte nie wissen, ob sie nicht an dem geheimen Ort auf einen warteten, an den zu gehen man sich erst Stunden zuvor entschlossen hatte. In den Dörfern war man gezwungen zu schleichen, zu flüstern wie ein Dieb, ständig musste man den Himmel im Auge behalten, und selbst tief im Gebirge konnte man sich nicht erhobenen Hauptes bewegen, denn die Amerikaner konnten aus dem Weltall sehen, auf welchem Pfad die Mudschaheddin unterwegs waren. Und nun hatte Chargul, dieser Tölpel, Fremde zum Stützpunkt geführt und vergessen, ihnen die Handys wegzunehmen, die noch gar nicht genügend zerstampft worden waren. Omar zerrieb unter seinem Absatz ein zerbrochenes Einzelteil, das ihm verdächtig erschien. Martens wusste nicht, ob es tatsächlich möglich war, ein ausgeschaltetes Handy zu orten, aber die Männer zweifelten nicht daran.
    Dilawar rieb sich mit der Hand übers Gesicht. Pason übersetzte, was er sagte: Wenn ein Mann zu mir kommt, der ein Messer versteckt, weil er mich töten will, und der, der mich bewacht, sieht das Messer nicht und lässt den Mann zu mir – wer hat dann den Tod verdient? Der, der mich bewacht und der das Messer nur übersehen hat, oder der, der mich töten wollte?
    Tell him, I didn’t want to kill him, sagte Martens zu Pason. I didn’t know that the Americans were watching us. I had no contact to the American soldiers.
    Es war eine Formel in einem rituellen Gespräch. Jeder sagte das, was die Situation von ihm erforderte, alle Fragen und Antworten standen schon fest, es gab keine Überraschungen. Evren bezichtigte Martens erneut der Lüge und dass er ein Spion sei, auch er sagte nur das, was ihm das Schicksal in den Mund legte. Sie waren hier alle nur Statisten. Bei Omar kam sogar Langeweile auf. Er setzte sich hin und zog die Schuhe aus, er überließ alles Weitere Dilawar. Ordentlich legte er die Schuhe neben sich und bewegte seine Zehen in den karierten Socken. Auch die anderen Männer setzten sich nun. Miriam berührte Martens am Arm, sie sagte, lass mich mit ihm reden. Ihr bleiches Gesicht, die Schatten unter ihren Augen, der säuerliche Geruch aus ihrem Mund – er schämte sich dafür, dass es ihm besser ging als ihr, dass er mit der Situation besser zurechtkam, weil für ihn weniger auf dem Spiel stand, nur sein eigenes Leben und nicht noch das Schicksal eines kleinen Kindes.
    Ruh dich aus, sagte er zu Miriam, mach dir keine Sorgen. Ich habe einen Plan.
    Sie schaute ihn an und sagte, es geht alles zu schnell. Viel zu schnell. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll.
    Du musst nichts tun, überlass

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