Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
Todesangst aufeinander losgingen, das Gesicht des einen glühte vor Wut und Aufregung, dem anderen rann der kalte Schweiß aus seinen goldenen Haaren. Die Frau kotzte – wer hatte ihr so viel zu essen gegeben, dass sie so lange kotzen konnte?
Martens ließ Evren los. Für diesen Mann, der nicht einmal wusste, welches das Lieblingsessen seines Sohns war, zurücktreten aus den Reihen der Lebenden: nein. Aber nun Evren beschuldigen, er ist der Spion, er ist der Jude? Auch nein.
Martens blickte sich um: Die Männer warteten auf die Fortsetzung des Schauspiels. Dilawar und Omar, die es jederzeit hätten beenden können, gewährten Aufschub. Sie hielten die Fäden in der Hand, das Ende des Spiels stand fest, sie konnten es sich gestatten, die Fäden locker zu lassen, um vielleicht die eine oder andere Überraschung noch genießen zu können. Evren begann wieder auf Pason einzuschreien und auf Miriam, es trieb ihn zur Weißglut, dass sie beide seine Anschuldigungen nicht übersetzen wollten. Er versuchte es nun selbst, er wandte sich an Dilawar, zeigte auf Martens, Spy, Traitor, Jew!, wechselte ins Türkische, versuchte es mit Zeichensprache, Hubschrauber, Angriff, er, der dort, der! Evren machte sich lächerlich, die Männer begannen ihn zu verachten. Sie waren Krieger, sie waren dem Tod oft nahe und bemühten sich, ihm gleichmütig zu begegnen, und nicht immer gelang es ihnen. Ein Mann wie Evren, der seine Würde verlor, erinnerte sie an ihre eigene Schwäche, das nahmen sie ihm übel.
Das Haus, dachte Martens, Lösegeld. Das Haus in Friedrichshain, ein Drittel gehörte doch ihm. Er verstand nicht, warum ihm das erst jetzt einfiel. Der Zorn der Männer musste gestillt werden, aber nicht notwendigerweise durch eine Hinrichtung. Freikaufen, dachte er, für diese Summe pfeifen sie auf eine Enthauptung. Der Wert des Hauses war auf siebenhunderttausend Euro geschätzt worden, ein Drittel gehörte ihm. Sein Vater hatte zwar testamentarisch festgelegt, dass das Haus zu Lebzeiten der Mutter nicht verkauft werden durfte. Aber Hildchen, dachte er, wird mich nicht im Stich lassen. Schreibt aber ja nicht Hildchen auf meinen Grabstein, da muss Hildegard stehen. So ein Tod ist ja was Offizielles. Ein Verkauf des Hauses war ja auch gar nicht nötig, Jonas kann mir die Summe vorschießen, dachte Martens. Sein Bruder Jonas war als Architekt zu einigem Vermögen gekommen, das würde sich schon irgendwie bewerkstelligen lassen. Ich werde ihnen zweihunderttausend anbieten, dachte Martens, das können sie nicht ablehnen.
Er sagte zu Pason, ich will mit Dilawar sprechen, du musst übersetzen. Sprich laut, damit alle hier es hören, es geht um viel Geld.
Martens trat vor Dilawar, er sagte, dieser Mann da, dieser Verrückte, ist unschuldig. Auch deine Schwester ist unschuldig.
Aber er nicht!, sagte Evren zu Pason. Er war es, er hat die Amerikaner geholt. Übersetz das!
Halt den Mund!, sagte Martens. Wenn du lebend hier rauskommen willst, halt den Mund.
Martens zog sein Handy aus der Tasche und zeigte es Dilawar und Omar und allen anderen. Er sagte zu Pason, Chargul hat vergessen, mir mein Handy wegzunehmen, als er uns aus Feyzabad hierhergebracht hat.
Pason übersetzte es.
Die Amerikaner, sagte Martens, können Handys auch orten, wenn es kein Netz gibt.
I don’t understand, sagte Pason, it’s difficult.
Die Amerikaner, sagte Martens, wussten, wo ich bin, weil ich mein Handy noch hatte.
Ah!, sagte Pason und übersetzte es.
Sprich bitte lauter, sagte Martens, und sie wiederholte es mit kräftigerer Stimme.
Dilawar nahm Martens das Handy aus der Hand und besah es sich von allen Seiten. Er reichte es Omar weiter, der es auf den Boden legte und mit dem Gewehrschaft zertrümmerte.
Ich bin kein Spion, sagte Martens, ich wusste nicht, dass die Amerikaner mich und deine Schwester beobachteten. Chargul hätte mir das Handy wegnehmen sollen, das musst du zugeben. Chargul hat einen Fehler gemacht.
Dilawar hörte es sich an, neigte seinen Kopf zu Omar und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Es war still, alle versuchten zu hören, was Dilawar flüsterte.
Chargul war Omars Bruder, sagte Pason. Wusstest du das nicht?
Nein!, sagte Martens. Nein, verdammt, das hatte er nicht gewusst! Und nun hatte er vor aller Ohren Omars totem Bruder einen Vorwurf gemacht, das war sehr ungünstig, schlimmstenfalls das Ende.
Why didn’t you tell me that!, sagte er zu Pason.
Everybody knows it, sagte Pason. They were brothers, but they were like that. Pason
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