Das Leuchten
Volk in einer Notlage steckt. Die Vertreter des Staates haben kein Interesse daran, diese Macht aus der Hand zu geben.«
Ich steckte den Artikel wieder in die Kiste, dann bückte ich mich und begann, auch den Rest aufzuheben.
Als der Doc sich neben mich kniete, um mir zu helfen, fragte er: »Beunruhigt dich dieser Artikel?«
Achselzuckend ging ich zur Tür. »Danke für den Verband, Doc.«
»Ich habe übrigens eine Blutprobe aus dem Bootswrack in den Zentralcomputer eingegeben«, sagte er.
Neugierig drehte ich mich zu ihm um.
»Wenn die DNA dieses Mannes in der Regierungsdatenbank gespeichert ist, weiß ich spätestens heute Abend, um wen es sich handelt.«
»Es war also Menschenblut?«
»Ja.« Der Doc blickte düster drein. »Von wem auch immer das Blut stammt, er wird nicht mehr vorbeikommen und seine Sachen abholen. Einen solchen Blutverlust kann niemand überleben.«
Ich war geschockt. Aus welchem Grund sollte die Seablite-Gang einen Schürfer umbringen? Hatte er irgendwas besessen, was sie unbedingt haben wollten?
»Nochmals danke für den Verband«, sagte ich und wandte mich zum Gehen.
Der Doc legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ich muss mit dir über deine Freundin Gemma reden.«
Mir war mulmig zumute, als er zu seinem Schreibtisch ging.
»Das hat man mir heute Morgen geschickt.« Er rollte seinen Schreibtischstuhl zurück, sodass ich sehen konnte, was auf dem Monitor war: ein Bild von Gemma in einem hochgeschlossenen Kaftan. Wahrscheinlich handelte es sich um ein offizielles Ausweisfoto. »Dieses Foto wurde an alle Mitarbeiter in der Handelsstation geschickt. Es gehört zu der Vermisstenanzeige eines Internats.« Er musterte mich. »Darin steht, dass sie Geld gestohlen hab e – und zwar aus dem Büro der Direktorin.«
Mein Mut sank so schnell wie ein Anker, der ins Wasser geworfen wird. »Werden Sie sie melden?«
Er überlegte und schüttelte schließlich den Kopf. »Nein, aber vielleicht tut das ein anderer.«
»Dann haben Gemma und ich nicht mehr viel Zeit.«
Der Doc zog die Augenbrauen hoch. »Zeit wofür?«
»Danke«, sagte ich nur und rannte zur Tür.
»Das ist mein Geld! Richard hat es mir geschickt und M s Spinner hat es mir weggenommen.« Gemma schäumte vor Wut. »Sie sagte, ich kriege es zurück, sobald ich nicht mehr in ihrer Obhut stehe. Aber dafür brauche ich doch Richards Unterschrift auf meiner Mündigkeitserklärung! Und ohne das Geld konnte ich nicht hierherkommen, um ihn zu suchen.«
»Und wie bist du hierhergekommen?«
»Ich kann jetzt keine weitere Standpauke gebrauchen.« Sie riss mir den Verband aus der Hand, verschwand im Fundbüro und ließ mich im Korridor stehen.
Als sie schließlich wieder auftauchte, sagte ich: »Niemand zu sehen. Lass uns gehen.«
»Heißt das, ich habe die Prüfung bestanden?«
»Ja.« Wenn man genau hinschaute, sah man zwar immer noch, dass sie ein Mädchen war, aber wieso sollten diese zwielichtigen Typen das tun? Ein falscher Blick konnte schon als Beleidigung verstanden werden, was meist ziemlich üble Folgen hatte. Ich spähte um die Ecke und winkte Gemma über die Schulter zu, mir zu folgen. »Wenn wir in den Saloon wollen, dann jetzt, solange niemand hier ist.«
»Wer sollte uns aufhalten?«, fragte sie barsch.
»Wenn mich einer der Siedler hier erwischt, wird er mich nicht einfach nur aufhalten, sondern am Genick packen und nach Hause zerren.«
Das verblüffte sie sichtlich. »Warum?«
»Die Leute sind meine Nachbarn. Hier unten gilt das etwas. Der Saloon ist der einzige Ort in den Unterseeischen Gebieten, wo mic h – hoffentlic h – niemand kennt. Aber wer weiß? Vielleicht ist unser Bibliothekar da und kippt sich gerade einen hinter die Binde.«
»Das ist das Schönste, was ich je gehört habe«, sagte sie leise.
»Dass unser Bibliothekar säuft?«
Sie lachte gepresst. »Dass alle auf dich aufpassen.«
»Ja. Das ist schön, solange man nichts tut, was man lieber bleiben lassen sollte. Dann nämlich erfahren es meine Eltern gleich aus mindestens sechs Quellen. Sich in den Saloon einzuschleichen, fällt übrigens genau in diese Kategorie. Wenn du also deine Meinun g …«
»Hab ich nicht.« Sie musterte mich von Kopf bis Fuß. »Aber wenn die Leute hier nach dir schauen, solltest du dir vielleicht auch andere Klamotten anziehen.«
Als sich die Türen des Fahrstuhls im dritten Untergeschoss öffneten, schlug uns eine Lärmwelle in der Stärke eines Tsunamis entgegen. Ich war als Hafenarbeiter verkleidet, mit
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