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Das Licht der Flüsse

Das Licht der Flüsse

Titel: Das Licht der Flüsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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als wir zum Hotel zurückkehrten und die Wachen auf den Stadtmauern schon nach dem Tagesanbruch Ausschau hielten.

Sambre-Oise-Kanal: Kanalboote
    Am nächsten Tag brachen wir spät auf, während es regnete. Der Richter eskortierte uns höflich unter einem Regenschirm bis
     zum Ende der Schleuse. Wir hatten nun in Bezug auf das Wetter einen Grad an Demut erreicht, den man außerhalb der schottischen
     Highlands selten erlebt. Ein Stückchen blauer Himmel oder ein flüchtiger Sonnenstrahl ließen unsere Herzen frohlocken, und
     wenn es nicht heftig regnete, hielten wir den Tag fast schon für schön.
    Lastkähne lagen in langen Reihen hintereinander auf dem Kanal. Viele von ihnen sahen überaus schmuck und tadellos aus in ihrem
     Wams aus Erzengelteer, das sich vom weißen und grünen Anstrich abhob. Einige wurden geziert von bunten Eisengeländern und
     ganzen Gärten aus Blumentöpfen. Kinder spielten auf den Decks und kümmerten sich so wenig um den Regen, als wären sie am Ufer
     des Lochcarron aufgewachsen. Männer hielten Angeln über das Dollbord, einige saßen unter Regenschirmen, Frauen wuschen ihre
     Wäsche, und alle Kähne rühmten sich einer Promenadenmischung als Wachhund. Ein jeder bellte wie wild die Kanus an, rannte
     bis ans Ende des eigenen Schiffs und gab so das Wort an den Hund auf dem nächsten weiter. Wir sind wohl an jenem Tag an etwa
     hundert von diesen Kähnen vorbeigerudert, die hintereinander aufgereiht waren wie Häuser in einer Straße, und kein einziger
     enttäuschte uns hinsichtlich dieser bellenden Begleitung. Es war wie ein Besuch in einer Menagerie, meinte der Kapitän der
Cigarette
.
    Diese kleinen Städte am Kanalufer hatten eine sehr merkwürdige Wirkung auf den Verstand. Sie schienen, mit ihrenBlumentöpfen und rauchenden Schornsteinen, ihrer Wäsche und ihrem Abendessen, ein festverwurzelter Teil der Landschaft zu
     sein. Kaum aber wurde der Kanal weiter unten geöffnet, setzte eine Dschunke nach der anderen die Segel oder schirrte die Pferde
     an. Sie schwammen davon in alle Regionen Frankreichs, und das improvisierte Dörfchen verteilte sich Haus um Haus in alle vier
     Himmelsrichtungen. Die Kinder, die heute am Sambre-Oise-Kanal gespielt haben, ein jedes auf der Türschwelle seines Vaters
     – wann und wo werden sie sich das nächste Mal wiedersehen?
    Eine Zeitlang beherrschte das Thema Lastkähne unsere Gespräche, und wir planten, uns in hohem Alter auf die Kanäle Europas
     zurückzuziehen. Es wäre die gemächlichste aller Reisearten, mal auf einem schnell strömenden Fluss im Kielwasser eines Dampfschiffs,
     dann wieder tagelang an einem unbedeutenden Knotenpunkt auf Pferde wartend. Man würde uns mit der Würde des Alters an Deck
     herumtrödeln sehen samt den weißen Bärten, die uns bis in den Schoß fielen. Wir wären ständig mit Farbtöpfen zugange, so dass
     es unter allen Kanalschiffen kein frischeres Weiß und kein smaragdgrüneres Grün gäbe. Bücher müsste es in der Kajüte geben
     und Tabakfässchen und einen alten Burgunder, so rot wie ein Sonnenuntergang im November und duftend wie ein Veilchen im April.
     Es müsste ein Flageolett geben, auf dem der Kapitän der
Cigarette
mit geschickten Fingern zarte Melodien unter den Sternen hervorbringen würde, oder vielleicht könnte er, ohne Instrument,
     seine Stimme – ein wenig dünner als in frühen Tagen und mit einem gelegentlichen Tremolo oder, sagen wir lieber, einer natürlichen
     Verzierung – zu kraftvollen und feierlichen Psalmengesängen erheben.
    All diese Träume, die in meinem Gehirn brodelten, ließen mich wünschen, an Bord eines dieser idealen Faulenzerhäuser zu gehen.
     Ich hatte reichlich zur Auswahl, als ich an einem nach dem anderen vorbeifuhr und die Hunde mich, den Vagabunden, anbellten.
     Schließlich sah ich einen netten alten Mann und seine Frau, die mich mit einigem Interesse betrachteten, also wünschte ich
     ihnen einen guten Tag und ruderte längsseits. Ich begann mit einer Bemerkung über ihren Hund, der ein wenig wie ein Bluthund
     aussah. Dann ließ ich ein Kompliment über die Blumen der Madame fallen, um danach ihre Lebensart zu preisen.
    Wenn man solch ein Experiment in England wagte, würde man sich sofort eine Ohrfeige einhandeln. Man würde erfahren, dass das
     Leben bitter sei, nicht ohne beiläufige Bemerkung über das bessere Los des Fragestellers. Was ich nun an Frankreich so schätze,
     ist, dass sich ein jeder klar und unerschütterlich seines eigenen Glücks

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