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Das Licht der Flüsse

Das Licht der Flüsse

Titel: Das Licht der Flüsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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stets verlassen. In diesen höheren Regionen hatte sie es immer noch ungeheuer eilig,
     zum Meer zu gelangen. Sie floss so flink und fröhlich durch all die Windungen ihres Flussbetts, dass ich mir den Daumen zerrte,
     als ich gegen die Stromschnellen ankämpfte, und die ganze übrige Strecke mehr oder weniger mit einer Hand paddeln musste.
     Mancherorts wurde sie von Mühlen genutzt, und da sie immer noch ein kleiner Fluss war, lief sie streckenweise recht seicht
     dahin. Wir mussten unsere Beine aus den Booten hängen lassen und uns mit den Füßen von dem sandigen Grund abstoßen. Und doch
     bahnte sie sich ihren Weg zwischen den Pappeln und schuf ein grünes Tal in der Welt. Abgesehen von einer guten Frau und einem
     guten Buch und Tabak gibt es auf Erden nichts Liebenswürdigeres als einen Fluss. Ich vergab ihm den Anschlag auf mein Leben,
     der zum Teil auf die heftigen Himmelswinde zurückzuführen war, die den Baum umgestürzt hatten, zum Teil auf mein eigenes Fehlverhalten
     und nur zum dritten Teil auf den Fluss, der schließlich keine bösen Absichten verfolgt hatte, sondern damit beschäftigt gewesen
     war, zum Meer zu gelangen. Und das ist ein schwieriges Unterfangen, denn die Umwege, die er machen muss, kann man nicht zählen.
     Die Geographen scheinen den Versuch aufgegeben zu haben, ich habe keine Karte gefunden, die die unendlichen Windungen abbildet.
     Eine Tatsache ist wohl aussagekräftiger als jede Karte. Nachdem wir ein paar Stunden, drei, wenn ich mich nicht irre, in diesem
     gleichmäßigen halsbrecherischen Galopp an den Bäumen vorbeigeflitzt waren und ein Dorf erreichten, in dem wir fragten, wo
     wir uns befänden, waren wir nicht weiter als vier Kilometer(rund zweieinhalb Meilen) von Origny entfernt. Wenn es keine Ehrensache gewesen wäre (wie man in Schottland sagt), dann hätten
     wir gar nicht erst losfahren müssen.
    Auf einer Wiese innerhalb eines Rechtecks aus Pappeln aßen wir zu Mittag. Die Blätter tanzten und raschelten im Wind um uns
     herum. Der Fluss eilte unterdessen weiter und schien unsere Saumseligkeit zu rügen. Das kümmerte uns wenig. Der Fluss wusste,
     wohin er wollte, wir nicht. Wenn wir ein schönes Quartier oder ein hübsches Plätzchen für eine Pfeife fanden, hatten wir es
     noch weniger eilig. Zu dieser Stunde schrien die Aktienhändler auf der Pariser Börse nach zwei oder drei Prozent, doch scherten
     sie uns ebenso wenig wie der dahingleitende Strom, und wir opferten den Göttern des Tabaks und der Verdauung schier endlose
     Minuten. Eile ist die Zuflucht der Ungläubigen. Wo ein Mann seinem eigenen Herzen und dem seiner Freunde vertrauen kann, ist
     morgen so gut wie heute. Und wenn er in der Zwischenzeit stirbt, was soll’s, dann stirbt er eben, und die Frage ist geklärt.
    Im Laufe des Nachmittags mussten wir auf den Kanal ausweichen, denn dort, wo er den Fluss kreuzte, stand keine Brücke, sondern
     ein Düker. Wenn uns nicht ein aufgeregter Bursche vom Ufer aus gewarnt hätte, wären wir direkt in die Unterführung des Wasserlaufs
     hineingepaddelt, wonach wir wohl nie wieder gepaddelt wären. Wir trafen einen Mann, einen Gentleman, auf dem Treidelpfad,
     der an unserer Kreuzfahrt sehr interessiert war. Ich wurde Zeuge eines merkwürdigen Lügenanfalls, den der Kapitän der
Cigarette
erlitt. Weil sein Messer aus Norwegen stammte, erzählte er alle möglichen Abenteuer von jenem Land, in dem er nie gewesenwar. Am Ende war er ziemlich fiebrig und schob es auf dämonische Besessenheit.
    Moy (sprich Moÿ) war ein hübsches kleines Dorf rund um ein Château mit einem Burggraben. Die Luft duftete nach dem Hanf der
     umliegenden Felder. Im »Goldenen Schaf« wurden wir ausgezeichnet bewirtet. Deutsche Kanonenkugeln von der Belagerung La Fères,
     Nürnberger Holzfiguren, ein Goldfisch im Glas und alle Arten von Schnickschnack zierten den Raum. Der Wirtin, einer stämmigen,
     schlichten, kurzsichtigen, mütterlichen Person, fehlte nicht viel, und sie könnte als Genie der Kochkunst durchgehen. Sie
     wusste um ihre Vorzüge. Nachdem ein Gericht aufgetischt worden war, kam sie stets herbei und sah uns mit zusammengekniffenen
     blinzelnden Augen eine Weile beim Essen zu. »
C’est bon, n’est-ce pas
?«, pflegte sie zu sagen, und wenn sie eine angemessene Antwort erhalten hatte, verschwand sie wieder in der Küche. Das gewöhnliche
     französische Gericht, Rebhuhn mit Kohl, wurde im »Goldenen Schaf« in meinen Augen zu einer neuen Erfahrung, und so manche
    

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