Das Licht der Hajeps (German Edition)
alles zu niedrig. Sie kletterte ein Stück den schmalen Abhang hinauf und versuchte, ihr angsterfülltes Gehirn zu vernünftigen Gedanken zu bewegen. Weit entfernt konnten ja die Verstecke ihrer Lieben nicht sein.
Nach einem Weilchen vergeblichen Suchens hielt sie schließlich inne. Wo war bloß Paul? Höher geklettert konnte er mit einem Kind auf dem Rücken doch gar nicht sein! Die mussten ja ein ganz ausgezeichnetes Versteck gefunden haben, dass man sie so schwer finden konnte! Sie blickte zu den schiefergrauen Berggipfeln, die in den sternenübersäten Himmel hineinragten. Ein schönes Bild! Irgendwie war die Welt jetzt so beschaulich und still, dass man gar nichts Böses denken konnte. Sie atmete tief durch, genoss für einen Moment diese Ruhe, dann jedoch kletterte sie weiter, lauschte dem Rascheln und Schurren, das sie selbst fabrizierte, aber ... was war das? Plötzlich hörte sie ein Geräusch, das so gar nicht dazu passte.
Sie hielt an, war ganz Ohr, wagte kaum zu atmen. Es kam von etwas höher und war auch weiter weg. Es schienen Schlaflaute zu sein. Sie atmete daher erleichtert aus. Vielleicht ein leises Schnarchen? Es war kaum zu wahrzunehmen, aber, wenn Margrit auch nicht sonderlich sehen konnte, so hatte sie doch ein recht gutes Gehör. Sie sprach dieses außerordentliche Hörvermögen der Gerechtigkeit der Natur zu und so zog sie sich an einigen struppigen Grasbüscheln und dürren Zweigen mühsam einen Hang hoch.
Das war so anstrengend gewesen, dass sie erst einmal bäuchlings liegen blieb und für eine Weile verschnaufte. Sie horchte. Ja, das war ein Schnarchen, ganz deutlich. Wahrscheinlich kam es von dem Gebüsch dort hinten. Komisch, erst hatte sie solche Schlafstörungen gehabt, aber jetzt, wo sie dem Ziel nahe war, überkam sie das Gefühl, sofort einpennen zu können. Warum hatte sie sich eigentlich diese ganze Mühe gemacht?
Da hinten lag doch nur Paul und schnarchte friedlich. Doch wo waren die Kinder? Wenigstens ein Küsschen wollte sie sich jetzt von Paul abholen, wenn sie schon in seiner Nähe war.
So schlich sie näher. Doch je deutlicher das Schnarchen wurde, umso befremdlicher kam es ihr irgendwie vor. Oder war sie schon wieder überängstlich? Sie kauerte sich sicherheitshalber auf alle Viere und schlich näher. Gewiss sah sie lächerlich aus, aber das war ihr jetzt Wurst! Schnarchten Hajeps? Ach, man wusste herzlich wenig von ihnen.
Noch näher krabbelte sie, schob vorsichtig Gebüsch und dichte, hohe Grasbüschel dabei auseinander. Der Schnarcher hatte sich anscheinend, bevor er sich zur Ruhe begeben hatte, ein kleines Feuerchen gemacht. Es roch nämlich nach verbranntem Holz und ... irgendwie nach leckerem Essen! Margrit verharrte erschrocken, denn ihr Magen hatte diesen herrlichen Geruch mit einem ziemlich lauten Knurren begrüßt.
Weiter schlich sie. Jetzt roch es auch nach Schnaps! Konnte Paul etwas zu essen und zu trinken gefunden und ihnen nichts abgegeben haben? Betrank er sich? Machte er so etwas? Aber von wo sollte er denn plötzlich Nahrung ergattert haben? Nein, das hier war nicht Paul! War es George? Konnte er das nicht sein? Er – der Mörder?
Sie fröstelte. Na ja, es war ja auch ziemlich kalt hier. Weiter vorwärts oder lieber zurück?
Diese Fragen sollten sich von ganz allein klären, denn plötzlich hörte sie ein leises Schurren von Füßen hinter sich, als ob jemand bemüht wäre, bis zu dieser Anhöhe empor zu klettern.
Schreckensstarr bewegte sie sich keinen Zoll weiter. Was sollte sie tun? Ganz eindeutig kam jemand hinter ihr hinauf. Ihre Ohren täuschten nie.
Wer war jetzt wer? Einer von den Zweien war ja unter Garantie nicht Paul! Muttchen konnte keiner von Beiden sein, die hätte es niemals bis hierher hoch geschafft. Vielleicht war sogar niemand von denen Paul und sie war von Fremden eingerahmt? Ihr Herz machte einen Sprung, denn inzwischen war derjenigen mit der Kletterpartie fertig.
Er musste auch ganz schön erschöpft sein, denn sie hörte sein Keuchen bis hierher. Sie war immer noch wie gelähmt und blickte langsam über die Schulter zurück. Es war feucht hier oben und daher ihre Brille auch noch beschlagen. Oder lag das an etwas anderem? Jedenfalls konnte sie immer noch nicht erkennen, wer von hinten kam und wer vorne lag. Die Brille in dieser Situation gründlich zu putzen war wohl etwas grotesk!
Es kam jedenfalls ein großer, dunkler Schatten und – oh Gott – der knipste seine Taschenlampe an! Wenn der nahe genug war, sah er sie
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