Das Licht der Phantasie
hinter dem Rücken, um keine unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen. Tatsächlich schenkte ihm kaum jemand Beachtung: Die Druiden, die den Kreis noch nicht verlassen hatten – überwiegend die jüngeren und muskulöseren –, hielten auf den alten Mann zu. Wahrscheinlich beabsichtigten sie, ein ernstes Gespräch mit ihm zu führen, bei dem es vor allen Dingen um Steinkreise betreffende Sakrilege ging. Doch das Poltern, Rasseln, Ächzen, Knurren und Knacken (von Knochen) deutete darauf hin, daß sich der Greis zum Wortführer der Debatte machte.
Zweiblum beobachtete den Kampf interessiert. Rincewind packte ihn am Arm.
»Verschwinden wir von hier«, sagte er.
»Sollten wir ihm nicht helfen?«
»Bestimmt wären wir ihm nur im Weg«, stieß der Zauberer hastig hervor. »Du weißt ja, wie es ist, wenn man zu tun hat und einem irgendwelche Leute über die Schulter sehen.«
»Wir müssen wenigstens die junge Frau retten«, erwiderte Zweiblum fest.
»Na gut. Aber beeil dich!«
Zweiblum nahm das Messer und hastete zum Altarstein. Nach einigen ungeschickten Schnitten gelang es ihm endlich, die Fesseln des Mädchens zu lösen. Es richtete sich auf und begann zu weinen.
»Es ist alles in Ord…« begann der Tourist.
»Pustekuchen!« entgegnete die Frau scharf und starrte ihn aus tränenfeuchten Augen an. »Warum mußtet ihr alles verderben?« Schluchzend hob sie den Saum ihrer Robe und putzte sich die Nase.
Zweiblum bedachte Rincewind mit einem verlegenen Blick. »Äh, ich glaube, du verstehst nicht ganz«, sagte er. »Ich meine, wir haben dich gerade vor dem absolut sicheren Tod gerettet.«
»Ach, das Leben in dieser Gegend ist nicht leicht«, antwortete die junge Frau. »Weißt du, es ist schwierig, nicht die…« Sie errötete und zupfte verlegen an ihrem Gewand. »Ich wollte sagen: Es ist nicht leicht, Jung… äh, ein Mädchen zu bleiben und die… die Qualifikation zu wahren.«
»Qualifikation?« echote Zweiblum verwirrt und gewann damit den Rincewind-Preis für die größte Begriffsstutzigkeit im ganzen Multiversum. Die Gerettete kniff die Augen zusammen.
»Ich könnte jetzt bereits bei der Mondgöttin sein und süßen Met aus einem silbernen Becher trinken«, sagte sie vorwurfsvoll. »Acht Jahre lang bin ich jeden Samstagabend zu Hause geblieben – und jetzt ist all die Enthaltsamkeit für die Katz!«
Sie musterte Rincewind mit finsterer Miene.
Der Zauberer spürte irgend etwas. Vielleicht war es ein leiser, kaum hörbarer Schritt, möglicherweise eine Bewegung, die er aus den Augenwinkeln bemerkte. Wie dem auch sei: Er reagierte sofort und duckte sich.
Ein scharfkantiger Gegenstand sauste dicht über ihn hinweg, verfehlt das Ziel – seinen Nacken – und streifte den kahlen Kopf Zweiblums. Rincewind wirbelte herum und sah, wie der Erzdruide mit seiner Sichel zu einem neuerlichen Hieb ausholte. Da ein Fluchtversuch nicht den geringsten Sinn gehabt hätte, trat er ebenso kräftig wie verzweifelt zu.
Seine Stiefelspitze traf die Kniescheibe des Priesters. Der Mann schrie auf, und als er seine Waffe fallen ließ, vernahm Rincewind ein leises Knirschen. Die in eine Kutte gehüllte Gestalt hielt sich noch ein und zwei Sekunden lang auf den Beinen, bevor sie zu Boden sank und sich nicht mehr rührte. Der Winzling mit dem langen Bart zog die Schwertklinge aus dem Körper des Druiden, wischte sie mit Schnee ab und sagte: »Mein Hexenschuf ift kaum auszuhalten. Kannft du den Fatz tragen?«
»Schatz?« krächzte Rincewind.
»All die Halfketten und daf übrige Zeug«, erwiderte der alte Mann undeutlich. »Die goldenen Ringe und der andere Kram. Hier wimmelt’f nur fo davon. Die Priefter ftehen auf folchen Plunder. Find ganz verrückt danach. Übrigenf: Wer ift daf?« Er deutete auf die junge Frau.
»Sie will nicht, daß wir sie retten«, erklärte Rincewind. Das Opfermädchen wischte sich die Tränen aus den Augen, verschmierte dabei ihren Lidschatten und sah den alten Mann herausfordernd an.
»Daf haben wir gleich«, sagte er, hob sie einfach hoch, schwankte ein wenig, beklagte grummelnd seine Arthritis und fiel.
Er blieb auf dem Bauch liegen, winkelte die Arme an und stützte das Kinn auf die Hände. »Fteh nicht einfach fo herum, du blöde Ziege – hilf mir hoch.« Rincewind war mindestens so erstaunt wie die junge Frau, als sie der Aufforderung nachkam.
Der Zauberer erinnerte sich an Zweiblum und wandte sich dem Touristen zu. Blut tropfte aus einer kleinen Schläfenwunde, die jedoch nicht besonders tief
Weitere Kostenlose Bücher