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Das Licht der Phantasie

Das Licht der Phantasie

Titel: Das Licht der Phantasie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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erzählen können.
    Vor ihm gähnte ein tiefer Abgrund in Form eines Trichters, der mindestens eine Meile durchmaß. Der flüsternde Wind trug die Seelen der Toten in die dunkle Kluft, wobei ein dumpfes Murmeln laut wurde. Es klang wie der Atem der Scheibenwelt. Ein schmaler, granitener Steg führte über die gewaltige Öffnung hinweg, und in einer Entfernung von rund dreißig Metern bildete er ein kleines Plateau.
    Rincewind bemerkte einen Garten mit Gemüse und Blumenbeeten, daneben eine schwarze Hütte.
Ein Pfad führte genau darauf zu.
    Der Zauberer blickte in die Richtung, aus der er kam. Der blaue Faden glühte nach wie vor.
Dicht daneben hockte der Koffer auf dem Weg.
    Rincewinds Verhältnis zu der Truhe war ein wenig gespannt; er hatte den Eindruck, daß sie ihn nicht besonders ernst nahm. Aber diesmal starrte sie ihn ausnahmsweise nicht finster an. Ganz im Gegenteil: Sie wirkte irgendwie betrübt und traurig, wie ein Hund, der gerade eine Katze verfolgt hatte, nach Hause zurückkehrte und feststellen mußte, daß Herrchen auf einen anderen Kontinent verzogen war.
    »Na schön«, brummte Rincewind. »Komm mit.«
Der Koffer streckte die Beine aus und folgte ihm über den Pfad. Aus irgendeinem Grund rechnete der Zauberer damit, im Garten nur verwelkte Blumen vorzufinden. Statt dessen schien er gut gepflegt zu sein, und die verschiedenen Anpflanzungen deuteten auf jemanden hin, der sich durch Gefühl für farbliche Harmonie auszeichnete – vorausgesetzt allerdings, die Farben waren Purpur, Nachtschwarz und Leichenweiß. Große Lilien verströmten einen betörenden Duft. In der Mitte des frisch gemähten Rasens ruhte die große Scheibe einer Sonnenuhr – der Zeiger warf keinen Schatten.
    Rincewind vergewisserte sich mehrmals, daß der Koffer nicht zurückblieb, als er über einen aus Marmorsplittern bestehenden Weg schritt, sich der Rückwand der Hütte näherte und dort die Tür öffnete.
    Vier Pferde musterten ihn über ihre Futtersäcke hinweg. Sie waren warm und lebendig, die prächtigsten Rösser, die der Zauberer jemals gesehen hatte. Eins stand abseits der anderen in einer separaten Box, an deren Gatter ein silberschwarzes Geschirr hing. Die anderen drei scharrten vor einer Heuraufe an der gegenüberliegenden Wand und schienen Besuchern zu gehören. Sie beobachteten Rincewind mit zurückhaltendem Interesse.
    Der Koffer stieß an seine Waden. Der Zauberer wirbelte herum und zischte: »Verzieh dich!«
Beschämt wich die Kiste zurück.
    Auf Zehenspitzen schlich der Zauberer durch den Stall und näherte sich der nächsten Tür. Ein mit Fliesen ausgelegter Gang schloß sich daran an und führte in eine große Kammer.
    Rincewind ging langsam weiter, schob sich vorsichtig an der Wand entlang. Hinter ihm marschierte die Truhe und gab sich große Mühe, möglichst leise zu sein.
    Die Eingangshalle…
    Nun, der Magier wunderte sich nicht so sehr über den Umstand, daß sie wesentlich größer zu sein schien als die ganze Hütte von draußen erschien. An solche Dinge hatte er sich bereits gewöhnt. Inzwischen fragte er sich längst nicht mehr, wie man große Segelschiffe in kleinen Flaschen unterbrachte – so etwas gehörte zu den ganz normalen Rätseln der Welt. Ihn erstaunte auch nicht das Dekor im Stil Frühe Krypta, modernisiert mit vielen schwarzen Vorhängen.
    Sein überraschter Blick galt der Uhr. Es handelte sich um ein ziemlich großes Exemplar, das zwischen zwei steilen Wendeltreppen stand. Die Verzierungen des hölzernen Gehäuses erinnerten an Dinge, die Menschen normalerweise nur im Delirium sahen.
    Sie verfügte über ein langes Pendel, das mit einem nervenaufreibenden Tick-tack hin und her schwang. Es war genau jene Art von Geräusch, die einem mit jedem Tick und jedem Tack eine weitere Lebenssekunde raubte. Rincewind glaubte plötzlich, in einem metaphorischen Stundenglas zu stehen und zu spüren, wie der Sand unter seinen Füßen fortrieselte.
    Es braucht wohl nicht extra erwähnt zu werden, daß das Pendelgewicht aus einer rasiermesserscharfen Klinge bestand.
Jemand klopfte ihm auf den verlängerten Rücken. Der Zauberer drehte sich verärgert um.
»Hör mal, du Sohn einer Aktentasche, ich habe dir doch gesagt…«
    Er brach ab. Vor ihm stand nicht etwa der Koffer, sondern eine junge Frau mit chromfarbenem Haar, die ihn aus silbernen, verwirrt blickenden Augen ansah.
    »Oh«, sagte Rincewind. »Ah, hallo.«
    »Bist du lebendig?« fragte die Unbekannte. Ihre Stimme weckte Assoziationen an

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