Das Licht der Phantasie
ergreifen.«
»Ich meine es ernst«, sagte Rincewind.
Er wird mich töten, dachte er. Jetzt ist es soweit. Ich kann nicht einmal mehr bluffen, bin ein doppelter Versager, sowohl in der Magie als auch in der Kunst des Täuschens…
Hinter seiner Stirn rührte sich der Zauberspruch. Rincewind spürte, wie er ihm eiswassergleich durchs Hirn spülte und sich vorbereitete. Ein kaltes Prickeln rann ihm den Arm hinab.
Wie ein eigenständiges Wesen kam die Hand in die Höhe, und er fühlte, wie sich die Lippen teilten und die Zunge auf und nieder hüpfte. Mit einer völlig fremden Stimme – sie klang alt, und Rincewind glaubte, in ihr das Rascheln von Papier zu hören – rief sie donnernd eine Beschwörung.
Oktarines Feuer löste sich von seinen Fingerspitzen, zitterte irrlichternd über den muskulösen Leib des bulligen Mannes, hüllte ihn in eine glitzernde Wolke, die aufstieg, einige Meter über der Straße verharrte, funkenstiebend auseinanderplatzte und sich schlagartig verflüchtigte.
Der Mann verschwand spurlos. Es blieben nicht einmal kleine Rauchfetzen zurück.
Rincewind starrte verblüfft auf seine Hand.
Zweiblum und Bethan packten ihn, bahnten sich einen Weg durch die schockierte Menge und eilten durch eine leere, stille Straße. Es folgte ein recht schmerzhafter Augenblick (für Rincewind), als sich der Tourist und die junge Frau für unterschiedliche Seitengassen entschieden. Sie trafen eine rasche Übereinkunft und hasteten in die einmal eingeschlagene Richtung weiter, wobei die Füße des Zauberers kaum das Kopfsteinpflaster berührten.
»Magie«, hauchte er aufgeregt und machttrunken. »Ich habe echte Magie beschworen…«
»In der Tat«, beruhigte ihn Zweiblum.
»Soll ich noch einmal zaubern?« bot Rincewind an. Er zeigte auf einen nahen Hund und machte »Wuuuuh!« Das Tier musterte ihn beleidigt. »Es wäre weitaus angebrachter, wenn du deine Füße dazu brächtest, schneller zu rennen«, meinte Bethan grimmig.
»Kein Problem«, erwiderte Rincewind. »Füße, lauft schneller! He, seht nur, sie gehorchen mir!«
»Sie haben mehr Verstand als du«, stellte Bethan fest. Sie sah sich um. »Wohin jetzt?«
Zweiblum blickte sich in dem Labyrinth aus schmalen Straßen und dunklen Bogengängen um. In der Ferne brüllten aufgeregte und ziemlich wütende Stimmen.
Rincewind befreite sich aus dem Griff seiner Gefährten und wankte benommen durch die nächste Gasse.
»Ich kann es!« rief er glücklich. »Hütet euch davor, meinen Zorn zu erwecken…«
»Er hat einen Schock erlitten«, murmelte Zweiblum.
»Warum?«
»Er hat zum erstenmal gezaubert.«
»Ich dachte, er sei Magier…«
»Nun, die ganze Sache ist ein wenig kompliziert«, erwiderte der Tourist und folgte Rincewind. »Wie dem auch sei: Ich bin mir nicht sicher, ob er es war. Es klang nicht nach ihm.« Er klopfte dem Zauberer auf die Schulter. »Na, alter Knabe, wie geht’s?«
Rincewind sah den Touristen aus blitzenden Augen an, schien ihn jedoch überhaupt nicht zu erkennen.
»Dich verwandle ich in einen Rosenstock«, sagte er.
»Oh, wie nett! Übrigens: Rote Rosen mag ich am liebsten.« Zweiblum seufzte. »Komm jetzt!« fügte er hinzu und zupfte behutsam an Rincewinds Ärmel.
Irgendwo hinter ihnen näherten sich hastige Schritte, und plötzlich sahen sie sich mehr als zehn Sternenleuten gegenüber.
Bethan griff nach der schlaffen Hand des Zauberers und hob sie drohend.
»Bleibt stehen!« rief sie.
»Paßt bloß auf!« keifte Zweiblum. »Wir haben einen Magier und schrecken nicht davor zurück, Gebrauch von ihm zu machen!«
»Wir meinen es ernst«, bestätigte Bethan und richtete Rincewinds Arme wie zwei Kanonenrohre aus.
»Genau«, sagte Zweiblum. »Wir sind schwer bewaffnet!« Und dann: »Was?«
»Ich sagte: Wo ist der Koffer?« zischte Bethan hinter Rincewinds Rükken.
Zweiblum sah sich um. Von der Truhe war weit und breit nichts zu sehen.
Erstaunlicherweise hatte der Zauberer den gewünschten Effekt auf die Sternenleute. Die zitternden Hände wirkten ähnlich auf sie wie eine hin und her schwingende Sense, und es kam zu einem nicht unerheblichen Durcheinander, als die Männer versuchten, hintereinander in Deckung zu gehen.
»Wohin ist die Kiste verschwunden?«
»Woher soll ich das wissen?« erwiderte Zweiblum.
»Nun, sie gehört dir!«
»Es geschieht häufiger, daß ich keine Ahnung habe, wo sich der Koffer befindet«, erläuterte Zweiblum. »Mit so etwas muß man sich abfinden, wenn man Tourist sein möchte. Tja, er macht
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