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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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er keine Antwort.
    Nein, du begegnest ihr nicht, wenn es vorbei ist und sie sich von ihrem Körper löst, der jetzt nicht mehr ihr gehört, sondern ihrem Mörder, der sich in seinem Todestrieb über ihn hermacht, eine der Flaschen nimmt, zerschlägt und ihr zwischen die Beine rammt. Ihr bereist jeweils andere Straßen. Es ist ein Impuls, der dich hier hält – immer noch bei deinem Körper, der stumm und friedlich, endlich, unter der Plane liegt. Wie er sich verändert hat, jetzt, wo er unbewohnt ist. War er je wichtig? Konnte er durch Wände gehen, so mühelos wie durch eine offene Tür? Den Herzschlag der Welt hören? Auf- und absteigen, als hätten Himmel und Erde keine natürliche Grenze? Und deine Augen sehen jetzt, wo dein Blick zerschmettert ist, so viel mehr. In diesem exklusiven Licht gehen sie den Dingen auf den Grund. Werden Teil der Szenerie. Und du erinnerst dich an alles, was je gewesen ist. An den Anbeginn derZeit. Und an ihr Ende. Und der große, stille Mann mit den traurigen Augen blickt dich einen Moment lang an, so als könne er dich wirklich sehen.
    Und du flüsterst ihm zu, dass alles, was beginnt, auch endet. Und dass er keine Angst zu haben braucht.

KAPITEL
FÜNF
    Mitternacht war schon lange vorüber, als Robert Abraham in der Lagerhalle eines ehemaligen Schrottplatzes im trostlosen Osten von London, im Stadtteil Newham, dabei zusah, wie ein Mann, nur unwesentlich jünger als er, zu Tode geprügelt wurde. Die Halle lag auf dem Gelände eines stillgelegten Schrottplatzes, auf dem bis vor ein paar Jahren noch Autos ausgeschlachtet und abgewrackt worden waren; jetzt lagen ihre rostigen Gerippe wie die versteinerten Skelette von Dinosauriern nebeneinander. Das Gelände war eingezäunt und unzugänglich, es lag abseits und doch inmitten einer postindustriellen Ruinenlandschaft aus Schnellstraßen, Outlets, heruntergekommenen Filmstudios, indischen Restaurants, Autowaschanlagen. Irgendwo hinter ihm in der Kälte der Nacht ragte »The Shard«, ein in die Stadt hineingerammter überdimensionierter Wolkenkratzer, in die Dunkelheit hinein, Lichter verstreuten sich hier am Rande, liefen, je näher es an die City ging, zusammen und bildeten einen Pulk, der noch vom Weltraum aus deutlich zu erkennen war.
    Aber nicht heute, dachte Robert, hier und jetzt gab es nur Fragmente einer unvollständigen Finsternis, zerschnitten von Scheinwerfern, die man am Rande einer provisorischen Arena, begrenzt durch Sand und Zementsäcke, aufgestellt hatte. In dem gleißenden Licht drangen die Körper zweier Männer aufeinander ein. Sie wurden von Kameraleuten mit teuren, normalerweisefür Hollywood-Produktionen benutzten ARRIFLEX-Kameras aufgenommen. Die Kameraleute achteten penibel darauf, nur die Kämpfer zu zeigen und möglichst wenig von den anwesenden Zuschauern, die sich im Halbdunkel dahinter verborgen hielten.
    Es waren Männer, deren Gesichter von der sie umgebenden Dunkelheit am Rande der Arena regelrecht verfinstert waren. Ihre Augen waren hinter dunklen Brillen versteckt, aber dahinter weit geöffnet und alles wahrnehmend; Männer mit Augen wie Grabsteine, Augen so ausdruckslos und leer wie die von Toten, gnadenlose Blicke werfend. Robert war einigen von ihnen, Kuriere wie er selbst, irgendwann, irgendwo im dunklen Universum des Bela Nagy begegnet, andere hingegen schienen Geschäftspartner zu sein. Robert hatte schon oft Gerüchte über diese Kämpfe gehört, im Internet gab es sogar spezielle durch Passworte und Firewalls gesicherte, nur einem exklusiven Club zugängliche Webseiten, die das Material zeigten.
    Die Männer, die hier miteinander auf Leben und Tod kämpften, waren die Verlierer, die vor den Toren des Finanzviertels lungerten wie einst die Aussätzigen vor den Toren der mittelalterlichen Städte. Tagelöhner, auf dem Arbeiterstrich unterwegs; das einzige Kapital, das sie nach Abzug aller Verbindlichkeiten noch besaßen, waren ihre Körper: Knochen, ummantelt von Muskeln, Sehnen und Fleisch. Humankapital im wahrsten Sinne des Wortes. Männer, die ihre Haut zu Markte trugen. Männer, die hier bis zum Tode kämpften.
    Und einem von ihnen offenbarte sich der Tod in Gestalt eines letzten Faustschlages, der den dünnen Knochen an seiner Schläfe zertrümmerte. Ein Blutgefäß platzte, und er lebte noch ein paar Sekunden, so lange wie das Blut brauchte, um sich massiv in seinem Hirn auszubreiten und ihn zu töten. In den paar Sekunden, in denen er sich daraufhin noch aufrecht in der Arena hielt, zitterte

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