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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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fesselte; er bellte seine Enttäuschung darüber wütend in die Welt. Grischa stellte sich vor, wie er ihm den Gnadenschuss gab. Damals in Grosny war ihm nie die Idee gekommen, auf die Hunde zu schießen. Er fand es einfacher, Belenski zu erlösen. Die Hunde hingegen hatten alle Chancen auf ihrer Seite. Sie waren Jäger, sie würden überleben, solange sie nur frei waren. Der hier hingegen besaß schon lange keine Freiheit mehr. Die rostige Kette hatte sein Fell blutig aufgescheuert und die Gefangenschaft ihn wahnsinnig gemacht.
    Grischa sah sich selbst an seiner Stelle.
    Damals.
    Gestern.
    Er stieg in seinen Wagen und fuhr davon.

KAPITEL
ELF
    In einem Flugzeug über Berlin kreiste ein Mann ohne Orientierung, ein Mann im Nebel seiner eigenen Geschichte. Landeten sie in Tegel oder Schönefeld? Orte entglitten Robert zusehends,und er hatte seit seiner letzten Begegnung mit Bela Nagy das Gefühl, sich wie im Negativ eines Schwarz-Weiß-Films zu bewegen. Die Dunkelheit um ihn herum nahm zu. War es nicht langsam an der Zeit, Laternen ans Haus zu hängen? Während des Fluges hatte er nicht geschlafen. Aus gutem Grund. Er fürchtete sich davor, im Schlaf das Gesicht des farbigen Mannes zu sehen, ein Gesicht mit weit geöffneten Augen, das über den Boden der Arena rollte.
    Vor ihm saß ein Vater mit seinem kleinen Sohn. Der Mann war in seinem Alter, ein sanfter, geduldiger Geschichtenerzähler. Das Kind war vier, fünf, ein aufgeweckter, aufgeregter Junge bei seinem ersten Flug. Seine kleine Hand drückte sich auf das runde Bullauge des Fensters. In atemberaubendem Tempo schoss er die elementarsten Fragen ab. Wo waren denn die Vögel? Konnte man in den Wolken gehen? War da oben der liebe Gott, und wieso zeigte er sich nicht?
    Die Vertrautheit zwischen Vater und Sohn erschütterte Robert zutiefst. Sie erinnerte ihn daran, dass er alleine war und dass es nicht das war, was er wollte. Er hatte lange gebraucht, um sich dieser Erkenntnis zu öffnen.
    Er war alleine und wurde älter, und nichts daran war gut.
    Beim Sinkflug traf eine heftige Windböe den Airbus. Der Junge schnellte in die sichere Umarmung des Vaters. Eine Frau schrie, andere fielen wie in einen Chor mit ein, ein Moment der Panik. Hier oben gab es keine Sicherheit, keine Gewähr.
    Ab und zu wurde man daran erinnert.
    Der Pilot flog eine erneute Kurve und stabilisierte die Maschine, setzte dann den Landeflug fort.
    Der Augenblick der Angst war vorüber.
    Robert war von allem unberührt geblieben.
    Wie ein Felsen.
    Er sah aus dem Kabinenfenster Berlin, das ihm regelrecht entgegenwuchs. Irgendwo da unten im steinernen Antlitz der Stadt war sein Bruder auf seinen eigenen Bahnen unterwegs.
    Du hast etwas, wofür du lebst, dachte Robert. Einen Job, der mehr als das war. Eine Familie. Eine Zuflucht.
    Frank.
    Frank, der als Kind so lebhaft war, regelrecht überhitzte, wenn er sich in etwas verrannte; Bücher, Mädchen, Flohmärkte. Lange Sommertage, in denen er durch Berlin zog, » die Stadt gehört uns, Rob«, er besaß die Gabe, sich in all diesen Dingen zu verlieren. Frank, der immer wie auf dem Sprung war. » Es gibt so viele Leben zu leben, Rob, so viele Möglichkeiten, ich krieg einfach nicht genug davon.« Robert lächelte, als er daran dachte. Vergangenheit wurde Gegenwart.
    »Sag mir, dass das niemals aufhört«, hörte er Frank jetzt wieder sagen.
    »Was?«
    »Na, all das hier. Die Bücher, die Mädchen, der Sommer. Das Licht, das vom Himmel fällt. Der Geruch alter, vergilbter Seiten. Wie Mädchen lächeln, wenn ich sie ansehe. Das Flüstern, wenn der Wind durch die Bäume zieht. Alles. Die Schönheit, die überall ist.«
    Robert sagte: »Das kann ich dir nicht versprechen, Kleiner. Dinge ändern sich. Sie werden anders. Und uns fragt niemand.«
    Frank schüttelte den Kopf.
    »Das akzeptiere ich aber nicht.«
    Robert sagte: »Ich werd’s dem Leben ausrichten, Kleiner.«
    »Dir geht das alles am Arsch vorbei, oder? Tust immer so abgezockt und gleichgültig.«
    »Denkst du wirklich so von mir?«
    »Keine Ahnung. Nein. Ich werde aus dir nicht schlau.«
    »Deshalb bin ich dein großer Bruder. Ein wandelndes Rätsel.«
    »Ja. Und weißt du was? Ich vermisse dich, wenn du mal länger weg bist.«
    »Na so was. Mr. Sentimental.«
    »Blödmann.«
    »Ich liebe dich auch, Kleiner.«
    Das stammte aus ihrem letzten Sommer.
    Dem Sommer.
    Die Dinge ändern sich, werden anders, dachte Robert.
    O ja, und wie!
    Als hätten wir uns immer wieder einander unserer Zuneigung

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