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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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vergewissern müssen, die Bande erneuern, in der Ahnung, dass die Welt, wie sie sie kannten, dabei war unterzugehen.
    Das Hotel war nicht das »Adlon« oder »Kempinski«, gehörte aber zu einer amerikanischen Kette, war standesgemäß sternegeschmückt und bot idealen Wohlfühl-Komfort für Businesstypen, die perfekte Absprungzone nach den nachmittäglichen Geschäftsessen, um die Nacht zu entern.
    Sein Zimmer war groß, atmete, wie man so schön sagt, fließende warme Farben, ein Geruch von Lavendel lag in der Luft. Keine Gerüche seines Vorgängers, überhaupt nichts, was darauf hindeutete, dass jemand vor ihm Spuren irgendwelcher Art hinterlassen hatte. Was er immer wieder auch ein wenig beklemmend fand. Er duschte ausgiebig, ließ sich einen Snack bringen, blätterte durch die im Foyer ausgelegten Zeitungen; das Flughafendesaster beschäftigte neben dem üblichen Kram die Kommentatoren. Überall Bilder eines sichtlich müden, überforderten Bürgermeisters. Berlin, immer noch erhaben und lächerlich zugleich, dachte er. Wie nannten sie ihren Slogan für die weltweite Vermarktung:
    Be Berlin.
    Großer Gott.
    Berlin, so dachte er weiter, war weniger ein Ort als ein Zustand. Immer zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt changierend.
    Hatte er die Stadt vermisst? Nein. Nur den einzigen Menschen, der ihm hier geblieben war.
    Du erledigst deinen Auftrag und verschwindest wieder, dachteer. Wie immer. Und danach würde es dann andere Städte geben, andere Straßen, Gesichter, Tage.
    Das Leben verweigert sich mitunter hartnäckig gerader Linien. Du gehst selten direkt von A nach B. Und manchmal verläufst du dich so sehr, dass du zwischendrin bei Z landest. Und dir die Augen reibst. Wie konnte ausgerechnet dir so etwas geschehen?
    Wieso kam ihm das gerade hier und jetzt wieder in den Sinn?
    Eigentlich hatte er diese Form der Grübelei lange hinter sich gelassen. Anscheinend regte die Stadt seinen Gedankenfluss an. Und während er das Hotel verließ und seine Füße sich an den Asphalt schmiegten, kam er sich vor wie ein fehlendes Puzzleteil: genau in die Lücke passend, die er hinterlassen hatte.
    Das »Sale e Bocca«, ein italienisches Restaurant, lag schräg gegenüber dem Checkpoint Charlie mit seinen kostümierten Vergangenheits-Darstellern. Urbane Folklore. Robert bestellte ein Steinbuttfilet, Arschawin ein Bistecca mit Spinat. Später Vormittag, ringsum hungrige Gesichter, ein Haufen ausgefüllter Anzüge, die bilanzierten, abwogen, aufrechneten. Die Philosophie der Mittagspause.
    »Keine zehn Pferde bringen mich nach Moskau zurück«, sagte Arschawin. »Wenn überhaupt, dann nur als reichen Mann.«
    In diesem Fall also nie, dachte Robert.
    Arschawin gehörte der mittleren Ebene an, er verteilte Aufträge, stellte Dossiers zusammen, besorgte die Logistik. Als junger Kerl war er bei der Westgruppe der Roten Armee gewesen, hatte in einer verlausten Wohnung in Karlshorst gehockt, drehte Däumchen, als die Weltgeschichte wieder ausatmete und die Ebenen vor der Stadt nicht in Flammen standen, ihre Panzer nicht gebraucht wurden, und wartete darauf, dass ihreZeit ablief. Der Rückzug aus Berlin war das Trübseligste, was ich je erlebt habe, erzählte er später. Wir kamen als Sieger und gingen als gefühlte Verlierer. Die Deutschen zahlten uns einfach aus. Die Berliner winkten ihnen zum Abschied zu – mit einem falschen Grinsen, wie er fand.
    In Moskau blieben ihm unterm Strich nur ein weiteres verlaustes Scheißloch von Wohnung und mies bezahlte Gelegenheitsarbeiten.
    Dann fragten ihn die richtigen Leute. Damals kauften sie die Soldaten regelrecht von der Straße. Arschawin besaß ein Talent zum Organisieren. Das brachte ihn wieder nach Berlin zurück. Und hier war er nun: Bela Nagys Mann an der Spree.
    »Du stammst von hier?«, wollte er wissen.
    »Ja.« Robert zerlegte seinen Steinbutt.
    »Hab einiges über dich gehört. Aber ich lasse es mir gerne von den Leuten selbst bestätigen.«
    Arschawin säbelte am Fleisch herum, spießte die Stücke auf und schob sie sich in den Mund.
    »Berlin ist auch meine Stadt. Wie gesagt: Moskau ohne Geld geht gar nicht. Aber hier ist das in Ordnung.«
    Robert nickte und tat so, als interessiere es ihn. Da war er nun zurück in der Stadt seines Lebens und musste sich von einem Typen wie Arschawin erklären lassen, was hier so ablief.
    Irgendwie deprimierend.
    Am Nebentisch tauschten zwei junge Spanierinnen in ihrer Sprache Sätze wie Maschinengewehrsalven aus. Beide trugen

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