Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
mit Edda schwanger ging, und die einzige Aufmerksamkeit, die ich von meinem Alten bekam, war der Besenstiel. Wahrscheinlich gibt es Menschen, die eine solche Scheißkindheit hinter sich lassen können – nun, wir gehörten definitiv nicht dazu. Wir machten einfach da weiter, wo unsere Kindheit aufgehört hatte. Trugen die Scheißfackel weiter.«
(»Aber er war’s nicht«, sagte Kleber nach einiger Zeit, in der sie schwiegen und jeder seinen eigenen trüben Gedanken nachhing.
»Er hatte ein hieb- und stichfestes Alibi«, sagte Abraham. »Du weißt, wie sehr wir uns die Hacken abgelaufen haben.«
»Ja«, sagte Kleber, »und wir liefen direkt ins Leere hinein. Und Markowitz war raus aus der Sache. Wäre ja auch zu schön gewesen.«)
Markowitz lebte damals schon von seiner Frau getrennt.
Er erzählte: »Ich weiß nicht, mit wem sie um die Häuser zog. Wahrscheinlich mit einem ebenso kaputten Typen, wie ich einer war. Wie gesagt, manche von uns machen einfach immer weiter, treffen die falschen Entscheidungen, begegnen den falschen Leuten, es hat uns keiner etwas anderes beigebracht. Ich schätze, selbst schlechte Gewohnheiten bilden ein Fundament. Nur, dass man am Ende darin versinkt, weil es nicht sicher ist. Aber was ist schon sicher, außer dass wir alle irgendwann krepieren?«
»Warum haben Sie sich letztendlich von ihr getrennt?«, fragte Abraham. Er meinte: Woher nahm Markowitz die Kraft dazu?
Markowitz lachte, und seine Haut schien dabei zu zerreißen.
»Ich wollte nicht eines Morgens mit meinen Händen um ihren Hals aufwachen. Und ich wollte auch nicht, dass es andersherum kommt. Da war so viel Hass und Vergeudung in meinem Leben, und irgendwann wird man zu müde, um noch abzuspringen. Ich spürte das ganz genau – ich dachte: Du wirst hier mit ihr sterben, ohne dir selbst noch einmal bewiesen zu haben, dass es außerhalb unserer Hölle eine Art von Himmel gibt. Auch für einen wie mich.«
Markowitz weinte, als er dies sagte, und obwohl Abraham Markowitz für einen Kerl hielt, der tragischerweise für sich und andere immer wieder in dieselben Verhaltensmuster zurückfiel, sah er, dass nichts an diesen Tränen falsch war.
»Hast du mal gezählt, wie oft wir hier schon unsere Aufwartung gemacht haben?«, fragte Kleber Abraham, als sie die Rechtsmedizin betraten. Hinter ihnen schlüpfte die kalte Luft mit durch die Türe, es zog sie verständlicherweise zu den kalten Toten hin.
»Nein, du etwa?«
»Ehrlich, ich weiß es selbst nicht mehr. Alles erscheint einem immer gleich – selbst die Opfer werden irgendwann austauschbar, all ihre Gesichter verschmelzen miteinander zu einer Art Blaupause, ach, ich weiß auch nicht. Nur dieses eine Mal, wo wir Dorfmann identifizieren mussten, weißt du noch? Das geht mir einfach nicht aus dem Kopf.«
Ja, Abraham erinnerte sich; es war jetzt zwei Jahre her, ein altes, verfallenes Haus in Pankow, und Dorfmann, der ohne Rückendeckung einen als psychisch labil bekannten Drogendealer zu einem sadistischen Mord befragen wollte. Der Kerl befand sich gleichermaßen im Drogen- und Todesrausch und halluzinierte, als Dorfmann bei ihm klingelte und sagte: »Polizei, öffnen Sie die Tür.«
Und genau dort attackierte er Dorfmann, ohne jede Vorwarnung.Angeblich hatte er den Polizisten für einen Abgesandten des Satans gehalten und um sein Leben gefürchtet. Dorfmann schleppte sich, von einem Dutzend Messerstichen getroffen, auf die Straße, wo er starb. Den Mord, weswegen ihn Dorfmann hatte befragen wollen, hatte ein anderer, den Abraham drei Tage später schnappte, begangen.
Ja, an Dorfmann erinnerten sie sich beide gut.
Kleber sagte: »Als ich ihn dort liegen sah, da sah ich mich selbst in irgendeiner düsteren, schrecklich schiefgelaufenen Zukunft.«
»Du solltest deinen Frieden mit solchen Dingen machen.«
»Das sagt der richtige Mann.«
Sie grinsten einander an, weil sie sich beide verstanden.
»Wenn ich so dächte, wäre ich nicht dein Partner, was auch immer du darunter verstehst«, sagte Kleber.
»Geduldet«, sagte Abraham.
Kleber lachte. »Ohhhh jaaa, geduldet. Nach so vielen Jahren erweise ich mich deiner als würdig. Zu viel der Ehre.«
Abraham klopfte Kleber aufmunternd auf die Schulter.
»Du wirst jeden Tag besser, glaub mir, würde ich dich jemals belügen?«
Dann betraten sie den Sektionsaal und überschritten diese ganz bestimmte Linie, von der ab es nun wirklich nichts mehr zu lachen gab.
KAPITEL
DREIZEHN
»Wann schläfst du eigentlich mal?«,
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