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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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nicht mehr in Besitz hatte. Sie war überall verletzt worden, und es würde dauern, bis sie sich davon wieder erholte. Er zögerte zuerst davor, in sie einzudringen aus Angst, ihr wehzutun, weil er den Schmerz in ihren Augen sah, aber sie sagte ihm deutlich, dass es an der Zeit war, ihren Körper, der viel zu oft seiner eigenen Wege gegangen war, zu bezwingen und ihn sich zurückzuholen.
    »Ich bestimme über ihn«, sagte sie und sah ihn mit ihren großen, weichen Augen an. Und er sah sie an. Er konnte nicht genug von ihr bekommen, so als wäre er niemals zuvor mit einer Frau zusammen gewesen, und tatsächlich war er jemandem wie Polly bislang nicht begegnet. Kein Wunder, denn dort, wo er sich herumtrieb, immer auf der schäbigen Rückseite der Straße, immer dort, wo die Laternen und Lichter als Erstes abgeschaltet wurden, gab es niemanden wie sie. Und zugleich war ihm klar, dass sie dort nicht hingehörte. Da draußen war kein Platz für verwundete Seelen – es gab zu viele Wölfe, die nur darauf warteten, ihre Beute in die tieferen, dunklen Ecken der Nacht zu ziehen.

KAPITEL
ACHTZEHN
    Polly öffnete die Augen und blickte in den Himmel über Berlin. Sie hatten die Nacht tatsächlich unbeschadet überstanden. Eine weitere Nacht, an die sich ein weiterer Tag anschloss. Was immer auch dieses Wesen (natürlich eine Ausgeburt meinerüberdrehten Phantasie, dachte sie, nicht real wie andere Nachtmahre, Holger etwa, der immer noch in ihrem Kopf war, der Wolf im Winter, irgendwo da draußen unterwegs) gewesen war, es hatte sie nicht zur Strecke gebracht.
    Mevissen drehte sich zu ihr um. Er lächelte und sagte: »Berlin«, als wären damit alle Probleme gelöst. Sie hielten an einem Schnellimbiss, und Mevissen besorgte Snacks und Getränke. Polly zwang sich zu essen, auch weil sie seinen besorgten, schuldgeplagten Blick nicht ertrug.
    »Es geht mir gut«, sagte sie. Im Radio lief ein Song von den Turin Brakes, »Sea Change«, sie legte sich in ihn hinein wie in ein gemachtes, sauberes Bett.
    Doch kaum war der Song vorbei, fräste sich Amsterdam und das, was ihr dort geschehen war, wie eine Kettensäge durch ihre Erinnerung. Später, dachte sie, später, und schob die verstörenden Bild- und Tonsegmente, die sich vor ihr aufbauten, einfach beiseite. Stattdessen kroch nun ein anderer Gedanke zurück in ihr Hirn, so wie ein kalter, bleicher Liebhaber unter ihre Bettdecke. Diesen Gedanken trug sie schon wie einen versteckten Virus seit Amsterdam mit sich herum: Berlin ist eine Falle, und wir tappen sehenden Auges hinein. Diese Art von Klarsicht passte eigentlich nicht zu ihr – und tatsächlich war es nicht mehr als ein Gefühl, dumpf, drückend und schwer, das sie beschäftigte.
    Sie erinnerte sich daran, wie sie in Amsterdam, kurz bevor Mevissen den Renault besorgte und sie alleine zurückließ, darüber redeten.
    Sie brauchten Geld. Mevissen hatte keinen wirklich richtigen Plan vom Leben, er driftete, flipperte herum, und Polly hatte ihn endgültig aus der Bahn geworfen. Jetzt trug er Verantwortung für jemanden; Bremsklötze an seinen flinken Hinterläufen, die ihn sonst nicht schnell genug wegtragen konnten. Und Polly, ganz nahe an ihm dran, erkannte so einiges. Auch Mevissen war von den Medikamenten, die er verkaufte,abhängig. Angeblich hatte es mit einer verschleppten Bronchitis angefangen und mit Unmengen von Kodein. Kodein war einer der klassischen Einstiege in die Medikamentensucht.
    Mevissen war ein Klassiker: ein Dealer, der seinem eigenen Produkt verfallen war.
    »Hier können wir nicht bleiben«, sagte er.
    Das war ihr schon klar. Angeblich kannte Mevissen Leute in Amsterdam, aber diese Kontakte hatten sich als nicht sattelfest herausgestellt. Vor allem den Kerl namens Jeroen fand sie abstoßend. Er verkaufte Heroin, und seine Kundschaft sah dementsprechend aus. Er grinste die meiste Zeit jovial und tat easy, aber tatsächlich hielt er sie nur hin. Seine Augen erzählten das Gegenteil von dem, was sein Mund ihnen versprach, und in seinen leeren Taschen sammelten sich keine Besitztümer, sondern nur Staub.
    Jeroen hatte sie in einem ihrer vielen Absteigen untergebracht, einem Drecksloch, dessen dunkle Gänge zu einem Labyrinth verschmolzen, gespenstisch beleuchtet nur von einigen wenigen Glühbirnen. Manchmal fanden sie Automaten, aus denen man Snacks ziehen konnte, weil es keine Küche gab. Die Rezeption wurde von einem Serben geführt, der weder Englisch noch Niederländisch sprach, aber sie immerhin weder

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