Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Arsenal von ihm zeigen lassen.) Beck meinte Polly. Polly hatte es ihm angetan. Dass Mevissen wieder da war, war ihm scheißegal. Allerdings war er jetzt froh, ihm nicht die Frau, na ja, eher Mädchen, ausgeredet zu haben. Dass sie Mevissen etwas bedeutete, machte sie für ihn nur noch interessanter. Beck hatte ihre Angst gerochen, scharf und würzig wie ein Bukett aus Scheiße; Angstscheiße, wenn die Schließmuskeln desertierten und sich Leib und Seele zu einem großen Tamtam verknoteten. Und er hatte das Blut zwischen ihren Beinen gerochen, er hatte eine Nase für Fotzenduft, und diese Blume hier blühte rostrot auf.
Es war nicht mehr zu leugnen:
Beck hatte sich in Polly verschossen.
Mevissen war blind für dieses Verlangen. Er war ein kranker Mann, löchrig wie ein Schweizer Käse; leg ihn auf eine heiße Herdplatte, und alles, was ihn ausmacht, zerfließt zu gelbem nutzlosem Fett. Das Mädchen und er befanden sich auf einer abschüssigen Strecke ins Nichts, und dieses Gleis hatte sie direkt zu Beck geführt. Und für diese beiden Süßen war das, unter uns gesagt, dachte Beck, keine besonders gute Nachricht.
Woher stammt wohl der Begriff »totes Gleis«?
Beck zog aus seiner Tasche eine kleine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit darin.
»Ich habe mir da etwas überlegt, Doc, die ganze Sache ist recht einfach. Du hast bestimmt schon mal von K. o.-Tropfen gehört.« Mevissen nickte.
»Ich erklär’s dir genauer«, sagte Beck.
KAPITEL
ZWANZIG
Beck hauste in einer kleinen Zweizimmerwohnung in Berlin-Lichtenberg. Auf dem Weg dorthin, in Mevissens aus dem letzten Loch pfeifenden Renault, hatten sie schäbige, verwahrloste Straßen, verwitterte Häuser, Fenster und Türen mit Bretten zugenagelt oder mit wehenden Plastikplanen als Fensterersatz, am Straßenrand entsorgte, ausgeschlachtete Autowracks und wilde Müllkippen passiert und zuletzt dann einen Autohof, ein Matratzenlager, ein aufgegebenes Sonnenstudio und einen dichtgemachten Imbiss. Vor einer gespenstisch dunklen Kneipe rangen zwei alte betrunkene Männer unbeholfen miteinander und brüllten sich dabei gegenseitig an, ihre Stimmen hallten noch weiter, als sie selbst längst schon verschwunden waren.
Becks Wohnung lag im zweiten Stock eines völlig heruntergekommenen Sechsparteienhauses, in dem Beck der momentan noch einzige ausharrende Bewohner war. Kein Wunder, denn aufgrund einer energetischen Gebäudesanierung, verbunden mit horrend steigenden Mietkosten sowie massiven Umbauarbeiten, hatte man den Rest der ehemaligen Mieter, darunter einen verwahrlosten Alkoholiker, eine psychisch auffällige alte Frau und einen Typen, entfernt, der drei Wochen tot im Sesselgesessen hatte, wie Beck ihnen erklärte. Nur er selbst war noch da, aus Prinzip, wie er sagte, vor allem aber, weil er hier, abseits vom Schuss und unbehelligt, seine Dinger drehen konnte. Das Haus war nicht der einzige Schandfleck in dieser toten Straße, es gab wie immer auch andere, und sie alle zusammen drängten sich wie ein frierender Haufen von Verlierern aneinander, bessere Ruinen, ihre schlechten Witze von Vorgärten waren mit dem Abfall des gesamten Stadtteils übersät. Beck zahlte nur noch die Betriebskosten, aber keine Miete mehr. Die Kohle von der ARGE wanderte in seine eigene; dort fühlte sie sich sowieso am wohlsten.
In Becks Wohnung war es feucht und klamm. Schwarze Schimmelsporen zogen ihre Bahn kreuz und quer über Decken und Wände wie eingefrorene Ameisenkolonien. Es roch muffig, nach alten Kleidern und nach verfaultem Obst.
Beck hatte ihnen zwei Matratzen und Decken besorgt und in einem Nebenraum Platz geschaffen. Die beiden Männer wollten sich erst mal bereden, und Beck schlug einen Dönerladen vor. Polly hatte weder Hunger noch Lust, sie wollte einfach nur schlafen. Da sie beide Handys besaßen, konnte Polly Mevissen jederzeit anrufen, wenn ihr danach war.
Die Kälte des Winters hatte die Sanierungsarbeiten gestoppt, und jetzt, ganz allein in dem großen baufälligen Haus, kam ihr die Stille vor wie im Inneren eines Sarges. Polly legte sich auf eine der Matratzen und warf eine Decke über sich. Nur zu gerne hätte sie jetzt jeden Gedanken ausgesperrt, aber diese Gnade erfüllte sich nicht und so flimmerten mal scharf, mal verschwommen die Bilder der letzten Tage und Wochen vor ihrem inneren Auge.
Mevissen und sie hatten sich gefunden, als sie beide verloren waren, an der Schwelle zum Verlöschen; sie bewegten sich mit der manischen Geschwindigkeit Getriebener
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