Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
gehört und seine Bedeutung nachgeschlagen, und es hatte sie entzückt und zum Lächeln gebracht, und ihr Lächeln brachte wiederum Mevissen zum Lächeln, ein schiefes, unbeholfenes, weil jahrelang in Düsternis und Verbitterung weggeschlossenes Lächeln – in ihrer Gegenwart aber konnte er dieses Gefühl endlich von der Kette lassen. So schlugen sie sich durch und hatten sich und brauchten niemand anderen.
Was jedoch keines ihrer Probleme löste. An Geld zu kommen. Denn in dieser mit bunten Scheinen gepflasterten Welt war Geld eine harte Währung, und manchmal, nein, viel zu oft war sie härter als Vertrauen, Mitgefühl, Liebe oder Vergebung. Und irgendwo da draußen im Hinterland des Winters war vielleicht noch ein Wolf am Leben, der sich die Haut eines Menschen übergezogen hatte, verletzt, gedemütigt, rasend vor Rache und auf der Suche nach ihnen. Und dieser Wolf besaß Geld, genug, um vielleicht auf ihre Spur zu kommen.
Alles war möglich in diesem Winter, der nicht enden wollte.
Sie lagen wie bewusstlos in den Armen des jeweils anderen. Auf dem Nachttisch ihres Zimmers in der Absteige glühte ein kleiner Heizlüfter und blies ihnen die Gesichter warm, als es klopfte. Mevissen öffnete, und Jeroen verkündete, er habe einen Wagen aufgetrieben. Er drängte sich nicht in ihr Zimmer, sondern blieb in der Tür, wartete, während Mevissen sich im Bad Wasser ins Gesicht spritzte, um einigermaßen klar zu werden, aber dort, den einzigen Ausgang versperrend, starrte Jeroen Polly auf eine widerlich-aufdringliche Weise an. Auf Holländisch sagte er zu ihr: »Du siehst aus wie eine Nutte mit Schüttelfrost. Ein bisschen Bewegung schadet deinem Arsch bestimmt nicht.« Sie verstand keines seiner Worte,spürte aber, dass an ihnen etwas Ekelhaftes klebte, so wie ein Schmutzrand unter den Fingern. Mevissen hatte ihr nichts von Jeroens Zuhälter-Ideen erzählt. In einem der Clubs der Stadt zu arbeiten. »Ihr Gesicht ist toll«, hatte Jeroen gesagt, »so ein Kleines-Mädchen-hat-ihren-Daddy-lieb-Gesicht. Die Sugardaddys werden voll abdrücken – in doppelter Hinsicht.«
Mevissen hätte ihn dafür am liebsten geschlagen, er spürte wie ihn eine zornesrote Welle aus Gewalt (dieselbe als er dem Wolf gegenüberstand) zu überrollen drohte. Stattdessen aber ballte er nur die Hände in den Taschen seiner Jacke zu Fäusten und sagte: »Polly ist nicht so.«
Jeroen sah, wie ein Schauer über Mevissens ansonsten abgeklärtes Gesicht zog wie eine durchziehende Sturmfront, es machte ihm keine Angst, denn er hatte den Teufel auf seiner Seite und sagte: »Sie ist medikamentenabhängig, und du bist es auch. Ihr kommt von dem Zeug nicht runter, weil es euch an die Erde kettet, ohne seid ihr weg vom Boden, und da oben in den Wolken ist es noch viel kälter, und übrigens, es gibt keinen Gott dort. Sie wird irgendwann anschaffen gehen, und du wirst ihr Zuhälter sein. Das ist der Lauf der Dinge.«
»Ja, danke für deine weisen Worte, Speedball, und jetzt besorg mir eine Karre.«
Jeroen, der einen langen verfilzten Zopf unter seiner Basecap trug und einen Schnurrbart, der schlapp an den Mundwinkeln hinunter wuchs, was ihn älter aussehen ließ, lachte und entblößte braune, wie mit Melasse eingepinselte Zähne. Medikamentenjunkies waren in seinen Augen ohnehin Loser – er stand auf Koks und Heroin und hey, was ist gegen einen ordentlichen Speedball schon einzuwenden? Oder einen Rudelbums mit einer Loser-Braut? Er wollte wirklich gerne in dieses träge, schwache Fleisch unter der Bettdecke dort hineinstoßen, bevor ihr dunkler Ritter hier mit seiner holden Maid den Abgang machte. Und er kannte ein paar Jungs, zugegeben, üble Typen, die immer Lust auf Action hatten und die ebenfalls bereit waren, für dieses schmutzige Vergnügen einen kleinenObolus zu entrichten. Für die Party musste er nur Mevissen weglocken. Ans andere Ende der Stadt auf einen Schrottplatz, wo ein Renault auf ihn wartete. Aber zuvor musste Mevissen noch ein paar Tilidin-Flaschen verticken. Ein wenig Oxycodon in Umlauf bringen. Die Schmerzen der Stadt, ach, der großen weiten beschissenen Welt zu lindern helfen. Das würde ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen.
Und das andere auch.
Leider würde er selbst daran nicht teilnehmen können – einer musste ja den Dödel ablenken, ihn dazu bringen, nach rechts zu blicken, während links sein Mädchen rangenommen wurde, aber da heutzutage jeder ein Handy bei sich trug, durfte er sich später auf eine private Vorführung
Weitere Kostenlose Bücher