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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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    »Lass mich hier, ist in Ordnung, ich laufe dir schon nicht weg, ich werde an Ort und Stelle sein, wenn du zurückkommst, ich bewege mich keinen Millimeter, ich warte«, sagte sie und wunderte sich, dass sie so viel Kraft aufbrachte, diese Worte abzuschießen.
    »Es dauert nicht lange«, sagte Mevissen, wusste dabei aber schon, dass er sein Versprechen, schnell zurück zu sein, nicht würde einlösen können. Jeroen hatte ihn in Beschlag genommen, quetschte ihn aus, trieb ihn an, und sie brauchten so dringend ein neues Auto. Amsterdam war eine Sackgasse, schon klar, deshalb hatte er alte Kontakte spielen lassen und einen Anruf getätigt, gestern in einer Telefonzelle, die eingeklemmt war zwischen einem geschundenen Bettler und einer betrunkenen Frau, die sich leise neben der gläsernen Trennwand, die ihn von ihr trennte, erbrach. Ließ es durchläuten. Hing an der Leine, zappelte wie unter Strom gestellt, bis er diese andere Stimme erneut hörte wie ein Echo, das aus der Zeit nach ihm griff, und ihren Worten lauschte wie etwas Verbotenem.
    Und wieder in den Bann rutschte, in seine ewig alten vergeudeten Tage.
    Mevissen verschloss auf Pollys Wunsch hin die Zimmertür von außen, ohne zu wissen, dass Jeroen, der sie in dieser Absteige untergebracht hatte, mit dem Serben von der Rezeption, der einen Generalschlüssel für alle Zimmer besaß, einen Deal hatte. Und Mevissen, ein Mann in Gedanken (und diese Gedanken belasteten ihn zusehends, sie standen zum Beispiel in der Nacht Schlange an seiner Seite des Bettes und wisperten: »Es wird schiefgehen, es wird böse enden, das wurde dir vor langer Zeit verkündet«, diese Gedanken trugen die Züge seiner verstorbenen Mutter und seines verhassten Vaters), bemerkte auch nicht Jeroens joviales Zwinkern sowie das heisere, wissende Lachen des Mannes, als sie den düsteren Concierge passierten – zwei Männer, die seit Jahren auf eine Art und Weise miteinander verflochten waren, die anderen Leuten stets nur Unglück brachte.
    Polly lag unter der tonnenschweren Decke und dem wachsweichen Bett und kam sich vor wie geplättet und geschält. Schuld daran waren natürlich all diese Pillen und Tropfen, die jetzt über sie bestimmten, nein, nur mitbestimmten, da sie jetzt über einen Captain of her heart verfügte, sie summte den Text dieses schönen Liedes, und er half ihr dabei, einen Weg zurück über die Yellow brick road ihrer Kindheit zu finden, an deren Ende ihr Vater auf seiner Maschine auf sie wartete, darauf wartete, dass sie sich ihm auf den Rücken warf, so dass er starten konnte, um sie mitzunehmen, fortzutragen, weit weg, uneinholbar, wohin auch immer, solange sie nur den Wind im Rücken und die Sonne im Gesicht hätten. »Waitin’ for another dayfall …«, und da fiel ihr ein anderer Fetzen Text ein, »Dreamin of mercy street … in her daddys arms again …«, und unter dem kühlen Helm spürte sie die weiche samtene Haut ihres Vaters, der jung gestorben war und damit niemals alt krepieren würde wie die Väter der anderen Mädchen, die sie eben dafür gehasst hatten.
    Sie fuhren die geschwungenen, engen, gefährlichen Straßen ihrer beider Leben rauf und runter und zeigten den Wölfen, die in denSchatten der Wälder zurückblieben, den verrotteten, bigotten Scheißkerlen, den falschen Heiligen, den grandiosen Arschlöchern am Wegesrand den Mittelfinger, und Polly breitete die Arme aus, ohne zu fallen, und schrie den Himmel an und lachte Tränen, und kein Hindernis würde ihnen den Weg abschneiden. Die Welt der Toten hatte keine Bedeutung für die, die erlöst waren.
    Plötzlich rutschten sie weg, verloren den Halt, prallten zu Boden, und eine ungeheure Macht riss Vater und Tochter auseinander, und Gottes Hand schleuderte ihn in den Himmel und in die Sonne, bis er verglühte, und die Pranke des Teufels zerrte Polly in die tiefe, dunkle feuchte Erde.
    Hände zerrten an ihr, rissen an ihr, gruben sich in ihren Körper, bohrten sich in ihre Öffnungen, Hände wuchsen, Finger krochen aus dem Nichts, attackierten sie, belagerten sie, taten ihr weh, brachten sie zum Bluten, zum erneuten Bluten, verschlossen ihren Mund, stopften sich in ihren Mund, drückten ihre Zunge in den Schlund, ließen sie würgen, so dass sie nahe am Ersticken war. Ein dunkelhäutiges Gesicht, grässlich entstellt von einer Messernarbe, die ihm den Mund, die Lippen gespalten hatte, bohrte sich wie eine Faust in ihres, eine Zunge

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