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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Eismaschine. schmücke meine romantisch-tragische Geschichte weiter aus und schreibe sie im Kopf nieder. Carl Grahm und Grace Brown haben sich geliebt. Deswegen waren sie hier. Sie sind
durchgebrannt,
haben sich nicht
heimlich fortgestohlen,
ganz egal, was die Köchin behauptet. Ich sehe Carl Grahm lächeln, während er nach den Wasserlilien greift, dann sehe ich das Boot kentern und ihn heldenhaft kämpfen, um die Frau zu retten, die er liebt. Grace’ tränenverschmiertes Gesicht und das Zittern ihrer Hände, als sie mir die Briefe gab, sehe ich nicht mehr. Ich frage mich nicht, was darin steht oder warum sie an Chester Gillette und nicht an Carl Grahm adressiert sind. Inzwischen kommt es mir so vor, daß Grace Brown ihren Freund gar nicht
Chester
genannt hat, sondern daß ich mir das nur eingebildet habe.
    Meine Geschichte mit Grace und Carl lasse ich damit enden, daß sie nebeneinander auf einem schönen Friedhof in Albany beerdigt werden und daß es ihren Eltern unglaublich leid tut, weil sie sich den jungen Liebenden in den Weg gestellt haben. Das ist eine ganz neue Art Geschichte für mich – eine Geschichte, bei der alles hübsch ineinander verwoben ist und keine losen Enden übrigbleiben, eine Geschichte, die mir Ruhe schenkt, statt mich aufzuwühlen. Die ein Happy-End hat – soweit ein Happy-End möglich ist, nachdem die Heldin tot und der Held vermutlich ebenfalls nicht mehr am Leben ist. Die Art von Geschichte, die ich einmal Miss Wilcox gegenüber als verlogen bezeichnet habe. Die Art, wie ich sie niemals schreiben würde, sagte ich damals.

Mis• nomi • na • tion
    Nichts auf unserer ganzen Farm – nicht der unhandliche Heuwagen, nicht die Baumstümpfe im Nordfeld. nicht einmal die Felsbrocken in der unteren Wiese – war so unbeweglich, so unerbittlich und störrisch wie Pleasant, das Muli. Ich stand in unserem Maisfeld und versuchte, es dazu zu kriegen, den Pflug zu ziehen. »Hü, Pleasant! Hü!« rief ich und ließ die Zügel auf seine Hinterbacken knallen. Es rührte sich nicht.
    Â»Na komm, Pleasant … komm schon, Muli«, redete Beth ihm gut zu und hielt ihm ein Stück Ahornzucker hin.
    Â»Hier Junge, hier Muli«, rief Tommy Hubbard und winkte mit einem alten Strohhut, denn Pleasant fraß gern solche Hüte.
    Â»Jetzt setz deinen fetten Arsch in Gang, du Mistvieh«, fluchte Lou und zerrte am Zaumzeug.
    Aber Pleasant ließ sich nicht überreden. Wie angewurzelt blieb er stehen und duckte gelegentlich den Kopf, um nach Lou zu beißen.
    Â»Los, Pleasant. Bitte, Pleasant«, flehte ich.
    Für Anfang April war es trocken und erstaunlich warm, und ich war müde, schmutzig und triefte vor Schweiß. Die Muskeln in meinen Armen schmerzten. meine Hände waren wundgescheuert vom Führen des Pflugs, und ich war außer mir vor Wut. Pa hatte mich wieder nicht in die Schule gehen lassen, obwohl ich doch unbedingt hinmußte. Ich wartete auf einen Brief. der an Miss Wilcox’ Adresse geschickt werden würde. falls er überhaupt eintraf, und konnte an nichts anderes denken. Ich sagte ihm, ich müsse zur Schule. Meine Prüfungen stünden bevor. Ich müsse Algebra lernen. Ich erklärte ihm, daß wir »Das Verlorene Paradies. bei Miss Wilcox lasen, was schwierig sei, und daß ich zurückfallen würde, wenn ich einen Tag versäumte. Aber nichts half. Er hatte das Wetter beobachtet – kein Nebel im Februar, kein Donner im März, Wind von Süden am Karfreitag – also war er überzeugt, daß die milden Temperaturen weiter anhielten.
    Die meisten Leute pflanzen Mais Ende Mai um den Memorial Day, aber Pa wollte spätestens Mitte des Monats pflanzen, daher sollten wir früh mit dem Pflügen beginnen. In den North Woods gibt es nur etwa hundert frostfreie Tage, und der Mais braucht Zeit zum Reifen. Pa versuchte gerade, unsere Herde aus Milchkühen zu vergrößern. Er wollte die Kälber behalten, statt sie zu verkaufen, aber die konnten wir nur behalten, wenn wir genügend Mais zum Füttern hatten. Ich sollte an diesem Tag fast einen Hektar pflügen und hatte nur etwa ein Drittel davon geschafft, als Pleasant der Ansicht war, es sei Feierabend. Wenn ich die Arbeit nicht fertigbekam, würde Pa wissen wollen. warum. Pflügen war Lawtons Arbeit, aber Lawton war nicht da. Pa hätte das Pflügen übernommen, aber er mußte bei Daisy

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